Fürstenfeldbruck/Haar – Jahrelang tobte in Fürstenfeldbruck ein Straßenkampf der besonderen Art: Es ging um anrüchige Straßennamen. Der eine, Julius Langbehn, war ein romantisierender Antisemit; der zweite, Wernher von Braun, ein nicht minder umstrittener Günstling der Nationalsozialisten und erfolgreicher Raumfahrtforscher; der dritte, Paul von Hindenburg, einst Reichspräsident und 1933 der Steigbügelhalter Hitlers. Nach all diesen Personen und noch einigen weiteren anrüchigen Gestalten sind in der Kreisstadt an der Amper Straßen benannt – bis heute.
Das sollte sich ändern. Nach Protesten von Bürgern, die ihre Postadressen partout nicht ändern wollten, beschloss der Stadtrat einen Kompromiss: ergänzende Hinweisschilder zu den umstrittenen Personen. Das Ergebnis ist seit Anfang Januar zu besichtigen: Sechs anstößige Straßenschilder haben jetzt Erläuterungen.
Die Fürstenfeldbrucker Säuberungsaktion dürfte nicht die letzte ihrer Art gewesen sein. Hindenburgstraßen oder -plätze gibt es jede Menge. Wer nach Sylt will, muss über den Hindenburgdamm. Jede Kommune geht anders mit dem einstigen Reichspräsidentent um. In Garmisch-Partenkirchen gab es 2013 sogar einen Bürgerentscheid. Ergebnis: Die Hindenburgstraße bleibt. In Feldkirchen (Kreis München) ist erst im Januar beschlossen worden, den Hindenburgplatz umzubenennen. Hingegen hält Pöcking (Kreis Starnberg) bislang an seiner Hindenburgstraße fest.
Ziemlich professionell ging man die Sache in Bad Tölz an. Dort beließ man die Hindenburgstraße, doch gibt es die ganze Straße entlang Informationsschilder zu dem umstrittenen Reichspräsidenten. „Was Sie in Bad Tölz geleistet haben, ist avantgardistisch und zur Nachahmung empfohlen“, lobte der Historiker Wolfram Pyta, der die maßgebliche Biographie über Hindenburg geschrieben hat, bei einer Ortsvisite.
Wenn nicht alles täuscht, wird der Rummel um die Straßenschilder noch eine Weile anhalten. Denn es gibt viele weitere NS-nahe oder sonst wie anstößige Personen, die auf Straßenschildern verewigt sind. „Das ist eine unendliche Geschichte“, sagt der Münchner Historiker Paul Hoser, ein Verfasser zahlreicher Ortsgeschichten. Er gab durch seine Forschungen einst selbst den Anstoß, dass in Memmingen die nach einem NS-Bürgermeister benannte Straße umetikettiert wurde. Inzwischen ist Hoser vorsichtiger. Die historische Bewertung von Personen und Ereignissen sei schwankend. Wo hört man da auf?
In Dachau etwa liegt das Finanzamt am Bürgermeister-Zauner-Ring. Hans Zauner (1885–1973) war ab 1952 Bürgermeister von Dachau. Aber er war in der NS-Zeit auch NSDAP-Mitglied und ab 1940 erster Beigeordneter des Bürgermeisters. „Da würde ein Hinweisschild unter dem Straßenschild nicht schaden“, meint der nahe Dachau wohnende Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler. In Haar (Kreis München) wird am 1. März feierlich die von-Braunmühl-Straße umbenannt. Der frühere Klinikleiter Anton Edler von Braunmühl war tief in NS-Euthanasie-Verbrechen verstrickt. Nun weicht von Braunmühl für Max Isserlin, einen Juden, der die Heckschersche Nervenheil- und Forschungsanstalt leitete und 1933 emigrierte. Nicht zur Umbenennung entschließen konnten sich Starnberg und Gauting, die Straßen nach Ina Seidel benannt haben, eine höchst umstrittene NS-nahe Schriftstellerin.
In München durchleuchten derzeit zwei Historiker, die von der Stadt beauftragt wurden, alle rund 6400 Straßennamen. Ergebnisse gibt es vielleicht im Herbst. Das Augenmerk richtet sich zum Beispiel auch auf die Münchner Sedanstraße und damit auf die Zeit vor 1900: In Sedan wurde 1870 der französische Kaiser Napoleon III. gefangen genommen, im Kaiserreich beging man mit Pomp den Sedantag. Sind triumphale Siege über den einstigen Erzfeind heute noch ein Straßenschild wert? Oder tut’s ein Erläuterungsschild? Für diese Lösung plädiert mittlerweile bei den Münchner Straßen auch der Historiker Hoser. Er ahnt: „Vielleicht wird man irgendwann einmal auch Adenauer anders bewerten als heute.“
In Fürstenfeldbruck ist das Thema noch nicht vom Tisch. Jetzt tobt der Streit darum, ob der Oberbürgermeister Erich Raff (CSU) die Rechte eines Arbeitskreises verletzt hat, der mit der Ausarbeitung von Textvorschlägen beauftragt war. Die Grünen drohen mit Dienstaufsichtsbeschwerde.
Der Fürstenfeldbrucker Kulturreferent Klaus Wollenberg (FDP) ist milder, nennt die Aufregung um Raffs Alleingang „nicht weltbewegend“, schließlich wären die Schilder so oder so ähnlich früher oder später sowieso montiert worden. Ärgerlich sei allerdings, das in der Hektik ausgerechnet bei Hindenburg ein kleiner Fehler passiert ist: Er war nominell bis zu seinem Tod 1934 Reichspräsident – und nicht nur bis 1933, wie es auf dem Erläuterungsschild heißt. Da wird wohl eine Neuanfertigung fällig.