45 Prozent sehen die Kirche kritisch

von Redaktion

Missbrauchsfälle, Finanzskandale, Klerikalismus und die ungeklärte Frauenfrage: Die katholische Kirche steht schwer in der Kritik. Immer mehr Menschen spielen mit dem Gedanken auszutreten. Und bleiben noch – aus Tradition. Doch die Zahlen bröckeln weiter. Das belegt eine neue Studie.

VON CLAUDIA MÖLLERS

München – Die Zahl ist erschreckend: 41 Prozent der Katholiken haben sich in Deutschland schon einmal die Frage gestellt, ob sie aus der Kirche austreten sollen. Das Datenmaterial, das die katholische Unternehmensberatung MDG im Auftrag des Erzbistums München und Freising im Jahr 2017 unter der Frage „Kirchenmitglied bleiben?“ zusammengetragen hat, zeichnet ein düsteres Zukunftsbild. Gestern stellte die MDG die repräsentative Studie, die 150 000 Euro gekostet hat und ab heute im Internet unter www.mdg-online.de nachgelesen werden kann, in München der Öffentlichkeit vor. 1369 erwachsene Katholiken wurden dazu nach ihrer Bindung zu Kirche befragt, nach ihrem Verhältnis zu Gott und was sie eigentlich noch in der Kirche hält.

Die Sozialforscher, die die Studie mit dem Heidelberger Sinus-Institut durchgeführt haben, unterteilen die Katholiken in sieben Typen: die Bekennenden, die Gemeindeverwurzelten, die Sozial-Fokussierten, die Kompromisslos-Beharrenden, die Dienstleistungs-Orientierten, die religiösen Freigeister und die Entfremdeten. Klassifizierungen, die in Kirchenkreisen durchaus kontrovers diskutiert werden. Doch die Ergebnisse der Forscher können auch sie nicht ignorieren. 45 Prozent der Kirchenmitglieder – die größte Gruppe – sind der Institution kritisch verbunden. Der Anteil der „gläubigen Kirchennahen“ ist mit 16 Prozent deutlich geringer. Die Umfrage zeigt: Bei immer mehr Katholiken lässt die Bindung nach. Noch hält die Tradition viele in der Kirche. Auch bei privaten einschneidenden Ereignissen wie Heirat, Taufe eines Kindes oder Beerdigung eines Angehörigen suchen die Menschen den Beistand der Kirche. Das mit Abstand am meisten genutzte Angebot der Kirche sind besondere Gottesdienste zu Weihnachten und Ostern (76 Prozent).

„Jesus Christus schneidet besser ab, als wir erwartet haben“, resümierte MDG-Projektleiterin Jana Goetzke. 70 Prozent der Befragten hatten erklärt, der Glaube sei der wichtigste Grund, in der Kirche zu bleiben. Die Forscher sehen hier eine Chance, den Menschen noch mehr Zugänge zum Glauben zu schaffen. „Wenn jemand wegen einer Heirat oder Beerdigung bei einer Gemeinde anruft, dem muss schnell ein Angebot zur Verfügung gestellt werden“, rät der Theologe Thomas Nahrmann von der MDG. Diese Zeremonien müssten die Menschen tief berühren, „denn tendenziell kommen sie erst Jahre später wieder mit der Kirche in Kontakt“. Diese Angebote müssten auf den Prüfstand. „Macht das, was ihr macht, wirklich gut. Und wenn ihr meint, dass ihr es gut macht, dann macht es noch besser“, schreibt Nahrmann der Kirche ins Stammbuch. Die klassischen Gemeinden hätten ein Problem, denn hier ist tendenziell die Generation 50plus versammelt. Bei der Kleingruppenarbeit müsse Kirche für Jüngere offener sein.

„Wir kennen die Situation genau, dass viele Menschen mit der Institution hadern“, räumt Bernhard Kellner, Pressesprecher des Erzbistums München und Freising, auf Nachfrage ein. Die Kirche sei zuletzt immer wieder von Skandalen erschüttert worden. „Das nehmen wir sehr ernst“, sagt er. Wie will die Kirche diejenigen halten, die mit dem Gedanken spielen auszutreten? „Wir haben hier keine einfachen Rezepte. Das Wichtigste ist, und das hat auch Kardinal Marx immer wieder betont, dass die Institution ihre Glaubwürdigkeit wieder erlangt durch authentisches Handeln“, so Kellner. Es gebe viele Überlegungen, wie man Menschen erreichen könne auch jenseits der engsten Kreise. „Man muss sehen, dass man nicht nur für die zehn Prozent Kirchgänger arbeitet, sondern auch für die anderen. Dass man ihnen etwas anbietet, das ihnen weiterhilft und ihnen eine Beziehung zu Gott ermöglicht.“

Man weiß in der Kirche, dass viele Menschen Reformen fordern. Gerade diejenigen wünschen Veränderungen, denen die Kirche sehr am Herzen liegt. Und die noch in der Kirche bleiben.

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