Drei Angriffe aus dem Nichts

von Redaktion

Drei Frauen werden in Nürnberg niedergestochen und schweben zwischenzeitlich in Lebensgefahr. Die Angriffe ereignen sich wenige hundert Meter voneinander entfernt. Der Täter ist noch immer auf der Flucht.

VON TOBIAS GMACH UND CATHERINE SIMON

Nürnberg – Das hätte ich sein können: Dieser Gedanke schießt Elen W. in den Kopf, als sie die Nachricht aus dem Nürnberger Viertel St. Johannis hört: Dort war sie am Donnerstagabend unterwegs – mit Kopfhörern auf den Ohren. Das will sie jetzt erst mal bleiben lassen, sagt die 26-Jährige.

Denn: Eine gleichaltrige Frau wurde ganz in der Nähe völlig unvermittelt niedergestochen. Und nicht nur sie: Der Unbekannte – die Polizei geht vom gleichen Täter aus – attackiert vermutlich mit einem Messer auch eine 34- und eine 56-Jährige. Alle drei schweben in Lebensgefahr, erst am Morgen danach gibt es Entwarnung. Die Oberkörper-Verletzungen müssen schwer sein, denn noch am Freitagnachmittag warten die Beamten darauf, zwei der Opfer verhören zu können.

Die Tatorte liegen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt – in einem beliebten Viertel mit vielen Altbauten. Die Spuren sind am Freitagmorgen größtenteils beseitigt, ein paar Absperrbänder flattern noch im Wind. Elen W., die in der Nähe ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin macht, vermutet: „Ich denke, dass es ein psychisch Kranker war. Vielleicht hatte er auch Drogen genommen.“ Eine 54-Jährige, die gerade auf dem Weg zur Arbeit ist, sagt: „Ich habe schon ein komisches Gefühl.“ „Kein Ort ist sicher“, sagt eine andere Frau, die gerade in der mittelfränkischen Großstadt zu Besuch ist.

Die Verunsicherung, sie ist spürbar im St.-Johannis-Viertel. Gerade auch, nachdem die Polizei per Twitter warnt: „Bitte vorsichtig sein, der Täter könnte weiterhin mit einem Messer bewaffnet sein.“ Eine Sonderkommission mit mehr als 40 Beamten wird eingerichtet, Streifenpolizisten zeigen in der Innenstadt Präsenz. Einen Täter präsentiert die Kripo aber am Freitag nicht. „Die Hinweislage ist sehr diffus“: So drückt es Kriminaldirektor Thilo Bachmann aus. Die Fahndung mit Hunden und einem Hubschrauber bringt keinen Erfolg. Genau wie das Aufbrechen einer Wohnung. Immerhin kann der mittelfränkische Polizeipräsident Roman Fertinger sagen, man habe „einige Personen im Fokus“. Was die Sache so schwierig macht: Es gibt kein erkennbares Motiv und keine Täter-Opfer-Beziehung.

Öffentlich wird eine Allerweltsbeschreibung des Unbekannten: 25 bis 30 Jahre alt, normale Statur, 1,80 Meter groß, blond, helle Haut, Drei-Tage-Bart. Der Angreifer hat wohl nicht mit den Frauen gesprochen, sondern einfach zugestochen. Ob er es mit einem Messer oder einem anderen spitzen Gegenstand getan hat, ob er ein Frauenhasser ist oder geistig verwirrt war? Alles offen. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gibt es bislang nicht. Die Befragungen der Anwohner sollen auch noch am Samstag laufen.

Die Polizei ist dringend auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen und stellt sich auf „Knochenarbeit übers Wochenende“ ein. Die Staatsanwaltschaft geht von versuchtem Mord aus und stellt fest, dass die Taten heimtückisch und die Opfer arglos waren.

Bei der Pressekonferenz wird eine brisante Zahl präsentiert: Messerangriffe in Nürnberg nahmen in den vergangenen fünf Jahren um 40 Prozent zu. Das Sicherheitsgefühl der Nürnberger nahm dagegen ab: Nach einer aktuellen Bürgerbefragung zeigte sich im Jahr 2011 noch die Hälfte der Bewohner bei dem Thema „zufrieden oder sehr zufrieden“. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 43 Prozent. „Die Unsicherheit hat zugenommen. Das ist aber kein Nürnberger Phänomen, sondern gilt allgemein“, sagt eine Sprecherin. Genauere Ergebnisse der Befragung wollte die Stadt am Freitag vorstellen. Nach den Angriffen wurde der Termin aber erst einmal abgesagt.

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