Stolz präsentiert der zehnjährige Max sein riesiges Luzienhäusl. Gerade so kann er am roten Giebeldach vorbeischauen. „Zweieinhalb Wochen habe ich fast täglich daran gearbeitet“, erzählt der Viertklässler und grinst.
Tatsächlich ist Max’ Windmühle eines der detailreichsten Häuser, die gerade in der Sparkasse Fürstenfeldbruck ausgestellt werden. Viele verschiedene Materialien hat der Zehnjährige in der Natur gesammelt, im Bastelladen besorgt oder von der Schule gestellt bekommen. Kleine Stoffkügelchen dienen als Blumen und bunte Krepppapierkügelchen als Blätter. „Ich habe auch Korken unter das Brett geklebt, damit mein Häuschen später besser schwimmen kann“, sagt Max.
Eine Technik, die viele Kinder übernommen haben, denn in diesem Jahr hat man besonders darauf geachtet, natürliche Werkstoffe zu verwenden. Früher nahm man häufig Styropor als Fundament oder verbaute Plastikteile. Denn auch wenn die Häuschen am nächsten Wehr – etwas weiter flussabwärts – herausgefischt werden, können einzelne Teile abbrechen oder das ganze Haus am Ufer hängen bleiben und so die Amper verschmutzen.
Bei der restlichen Gestaltung der Luzienhäusl hatten die Schüler der zwei in diesem Jahr teilnehmenden Grundschulen freie Hand. „Wir haben der Fantasie keine Grenzen gesetzt und jeder durfte machen, was er wollte“, sagt Isabel Martins, die Schulleiterin der Philipp-Weiß-Schule. Einzige Bedingung: Es muss entfernt an ein Haus erinnern. Früher waren Kirchen und Bauernhäuser beliebt, heute kann es auch schon mal der Geldspeicher von Dagobert Duck, die Spielstätte der Bayern-Basketballer, der Audi Dome oder die Allianz Arena sein.
Doch trotz aller Freiheiten und modernen Motiven sollen die Kinder auch über die Herkunft des Brauchs und die lange Tradition Bescheid wissen. „Wir haben den Hintergrund des Luzienhäusl-Schwimmens im Unterricht in Stadtgeschichte erzählt bekommen“, erklärt die Viertklässlerin Anna-Lena.
In der Stadtchronik Fürstenfeldbrucks werden die Luzienhäusl das erste Mal 1785 erwähnt, als das Wasser der Amper bis vor die Haustüren der Bürger der kleinen Marktgemeinde Bruck stand. Vor Angst, ihren Besitz zu verlieren, pilgerten sie in Scharen in das nahe gelegene Kloster Fürstenfeld, um die Heilige Lucia – die an diesem Tag, dem 13. Dezember, ihren Ehrentag hat – anzubeten und um Hilfe anzuflehen. Man würde, wenn der Ort verschont wird, jedes Jahr einen Gottesdienst für die Leuchtende (das bedeutet ihr Name) veranstalten. Um ihrer Bitte Nachdruck zu verleihen, bastelten sie kleine Häuschen und ließen sie – durch eine Kerze erleuchtet – die Amper entlangtreiben. Bruck wurde damals tatsächlich vom Hochwasser verschont. Der Pegelstand der Amper sank bereits einen Tag darauf wieder. Eine Tradition, die bis heute Bestand hat, war geboren.
Obwohl es die Heiligenverehrung von Sankt Lucia in der Region schon seit Beginn des 16. Jahrhunderts gibt, ist der Brauch erst durch das Hochwasser von 1785 wiederbelebt worden. Die regelmäßigen Gottesdienste fanden zwar schon einige Jahre später, in der Zeit der Säkularisation, ihr Ende, doch die Häuser wurden noch bis ins Jahr 1851 weiter gebaut. Dann war aus nicht näher bekannten Gründen für fast 100 Jahre Schluss damit. Erst 1949 entdeckte und erweckte Georg Kachelriß, Rektor der Knabenschule an der Philipp-Weiß-Straße, die Tradition wieder zum Leben.
Der Startschuss für den Bau der Häuser fällt in der Regel schon mehr als zwei Monate vor dem 13. Dezember – damit die Kinder genug Zeit fürs Basteln haben. Da die Kinder dieses Jahr so viele Häuschen wie nie zuvor – 286 Stück – gebastelt haben, mussten sie in der Sparkassen-Filiale, wo die Häuser traditionell ausgestellt werden, sogar anbauen. Die Angestellten haben zusätzliche Bierbänke und Tische besorgt und mit schwarzem Tuch bespannt, um die architektonischen Meisterwerke adäquat zu präsentieren. Der Lohn für die Bastelei: Jedes Kind bekommt heuer eine LED-Fahrradlampe.
Über die freuen sich auch die drei Freunde Moritz, Sebastian und David von der Grundschule Mitte. Die drei sind so motiviert, dass sie neben dem in der Schule gebastelten Häuschen daheim noch ein weiteres gebaut haben. Der Holzturm mit den moosbewachsenen Flanken ist ein reines Fantasie-Gebäude. „Wir sind dafür extra in den Wald gegangen und haben das Moos gesammelt“, erzählt der neunjährige Sebastian. Die Buben legen großen Wert darauf, dass sie alles selbst gemacht haben, „nur die Holzplatte hat mein Vater verschraubt“, sagt Sebastian.
Die drei Klassenkammeraden sind schon richtige Profis im Luzienhäuslbasteln – sie haben in den vergangenen Jahren schon mitgemacht. Dafür gab es dann auch eine Note im Fach Kunst, „und es gibt noch einen Punsch-Gutschein“, sagt Sebastian.
Für Anna-Lena und Emilia ist es dieses Jahr eine Premiere. Vorbild für ihr Kunstwerk ist ein rosafarbenes Playmobil-Häuschen. Zwei Wochen lang haben sie geschnitten, geklebt und dekoriert. Jetzt können sie es kaum erwarten, dass der Donnerstag kommt. „Dann zünden die Helfer von der Wasserwacht die Kerzen an und setzen die Häuschen ins Wasser“, sagt Anna-Lena. „Das sieht bestimmt wunderschön aus.“
Einziger Nachteil: Der Verlust gehört bei diesem Brauchtum immer mit dazu. Wenn sie einmal im Wasser sind, dann sind sie im Wasser. Als Spielzeug eignen sie sich danach ganz bestimmt nicht mehr. Aber so ist das: Wer eine Stadt vor den Fluten retten will, muss Opfer bringen. Das lernt man in Bruck schon in der Grundschule.