Wenn zehn Generationen in einem Handwerk überdauern, dann ist das zweifelsohne Stoff genug für eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Und die erscheint bald unter dem Buchtitel „Vom Lebzelter zum Chocolatier“ – Initiatorin ist Barbara Krönner, 54.
Die Konditormeisterin, die längst ihre Kinder – Michael, Martina und Maximilian – für dieses Handwerk begeistern konnte, betreibt in Murnau ein Café, wo Kaffeehauskultur noch gelebt wird und gelebt werden darf. Das spürt man das ganze Jahr, aber vor allem in der Adventszeit.
Gerade gibt es Christstollen, Zimtsterne, Spitzbuben, Anislaiberl und natürlich Lebkuchen in allen Formen und Geschmäckern. Sogar ein ganzes Lebkuchen-Hexenhaus haben sie im Angebot, 20 Zentimeter hoch, 39 Euro teuer. Dahinter steckt eine jahrhundertealte Handwerkskunst. Viele meinen, Konditorenarbeit sei filigran, „mit a bisserl was Verzieren ist es getan. Im Gegenteil“, sagt Barbara Krönner: „Konditorarbeit ist nach wie vor ein körperlich anstrengender Beruf, weshalb diesen früher auch nur Männer ausgeübt haben.“ Auch bei den Krönners.
Lebkuchen, damit hat hier alles angefangen. Die Geschichte der bayerischen Konditoren-Familie reicht bis Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. Man schrieb das Jahr 1759, als sich im oberbayerischen Moosburg an der Isar Johann Baptist Krönner im Alter von 22 Jahren als erster bürgerlicher Lebzelter, Wachszieher und Metsieder niederließ. Er, der von 1799 bis 1803 Bürgermeister der Stadt Moosburg war, hat damit den Grundstein für die bis heute fortwährende Familientradition gelegt.
Lebzelter – in der Tat hat der Begriff etwas mit Lebkuchen zu tun, aber das erzählt nur ganz wenig über diesen Berufsstand, der mit der Honigproduktion zusammenhängt und heute mehr oder weniger ausgestorben ist. Als Johann Baptist Krönner als Lebzelter nach Moosburg kam, hatte dieser Beruf einen hohen Stellenwert. Wussten die Menschen damals doch um den Grund- und Kraftstoff Honig. Die ersten Krönner-Generationen bezogen diesen aus dem Baltikum. Er kam erst mit dem Schiff die Donau aufwärts, dann wurde er mittels Pferdegespannen weiter transportiert. Wer sich zur damaligen Zeit Lebzelter nannte, der hatte auch das Recht, Met, also Honigwein, zu sieden und an etwaige Schankhäuser zu verkaufen. Ein Lebzelter durfte Lebkuchen backen, die Honig als Grundstoff beinhalteten, Kerzen ziehen oder gießen.
Als im Laufe der Jahrhunderte der Zucker die Backzutat Honig weitgehend verdrängte und Paraffin das Bienenwachs ersetzte, sank die Bedeutung des Lebzelters. Doch bei den Krönners in Murnau ist Honig nach wie vor eine entscheidende Zutat.
Das Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Die Abkömmlinge von Johann Baptist Krönner verschlug es später nach Landshut und Straubing, aber auch nach Weilheim oder Garmisch.
Letzteres ist der Geburtsort von Barbara Krönner, und weil im Geschäft der Eltern nur für einen Nachfolger – ihren Bruder – Platz war, entschied sie sich zunächst für eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten. Doch die geschichts- und traditionsbewusste Frau konnte nicht anders, als im Familienclan weiterzuwirken.
Mit 22 Jahren begann sie ihre Lehre zur Konditorin – und nach einem Jahr Meisterschule hatte sie den Titel „Konditormeister“ inne. Es zogen allerdings noch etliche Jahre ins Land, bis Barbara Krönner mit eigenem Café und eigener Backstube sesshaft werden konnte. Die Gelegenheit bot sich 1998 in Murnau in einem Café am Obermarkt, kurz nach dem Lebzeltergaßl. Wie passend.
Die ehemaligen Besitzer hörten auf, und für die heute 54-Jährige war es die Chance, in der „alten Lebzelterei“ die Dynastie Krönner fortzuführen – es gibt für das Gebäude sogar einen urkundlichen Eintrag aus dem 15. Jahrhundert. „Es war und ist ein Haus, das dieses Handwerk atmet“, sagt die Chefin.
Mit 15 Leuten hat sie vor 20 Jahren angefangen, heute sind es 50 Mitarbeiter aus insgesamt 13 Nationen – die Krönners geben auch Flüchtlingen die Chance zur Arbeit und zum Lernen. Lebkuchen und Trüffelpralinen kennen eh keine Grenzen. Sie schmecken weltweit.
Agnes-Bernauer-, Spanische-Vanille- oder die Prinzregenten-Torte sind neben vielen anderen Kreationen Spezialitäten im Kaffeehaus, in dem man noch gemütlich Zeitung lesen darf oder sogar eine Partie Schach spielen kann. Überhaupt geht es darum, Köstlichkeiten mit historischem Bezug herzustellen, wie etwa die Horváth-Torte. Sie erinnert an den Schriftsteller Ödön von Horváth, der in Murnau gelebt und gewirkt hat. Es ist einfach die Bewahrung der Tradition, die Barbara Krönner immer wieder leitet. Sogar hausgebrauten Honigmet haben sie inzwischen wieder im Angebot.
Nicht stehen bleiben, sondern weiterentwickeln – das ist die Philosophie der Konditorin. Und weil im Café und der Backstube am Obermarkt nicht mehr genug Platz war, suchte sie nach einer Örtlichkeit, um das neue Metier „Schokolade“ voll auszuleben. Als 2015 in einer ehemaligen Galerie in der Nähe die Räumlichkeiten frei wurden, ergriff sie die Chance. Seither ist dort die gläserne Schokoladenmanufaktur mit Café und Außensitzplätzen entstanden, im zweiten Stock soll künftig ein Museum Platz finden, das den Buchtitel „Vom Lebzelter zum Chocolatier“ visuell begleitet.
Und wie begeistert auch ihre Söhne, Michael, 29, und Maximilian, 23, sind, kann man nicht nur an deren Schaffenskraft und Kreativität ablesen – sie leben das Handwerk. Oder wie es so schön im Flyer der Konditorei heißt: „Das Kaffeehaus war unsere Kinderstube, die Konditorei und Schokoladenmanufaktur unsere Schule; unsere Mutter mit ihrer Liebe zum Konditorhandwerk unsere Mentorin und die Murnauer Schokoladenmanufaktur ist unsere Passion und Zukunft.“
Hört sich theatralisch an. Ist aber die Wahrheit.