Es gibt politische Fragen, die übersteigen Parteigrenzen. Die Frage, unter welchen Umständen einem Menschen Organe entnommen werden können, um einem anderen Menschen damit das Leben zu retten, ist so eine. Um die Spenderzahlen zu erhöhen, will Gesundheitsminister Jens Spahn die geltende Regelung umkehren, wonach Organe nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Betroffenen zur Transplantation entfernt werden dürfen. Geht es nach dem CDU-Politiker, soll jeder Deutsche dann also als Organspender gelten, es sei denn, er hat widersprochen. Gemeinsam mit Karl Lauterbach (SPD) will Spahn bis Jahresende einen entsprechenden Antrag vorlegen. Lauterbach rechnet damit, dass sich Politiker mehrerer Fraktionen ihrem Vorstoß anschließen werden. Gleichzeitig formiert sich im Bundestag fraktionsübergreifender Widerstand. Abgeordnete von Union, SPD, Grünen, Linken und FDP arbeiten an einem Gruppenantrag, um die Pläne des Gesundheitsministers zu verhindern. Einer von ihnen ist der Münchner Stephan Pilsinger (CSU). Wir haben mit ihm gesprochen.
Herr Pilsinger, 70 Prozent der Deutschen wären theoretisch bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden. Trotzdem stirbt alle acht Stunden ein Mensch, der auf ein Spenderorgan wartet. Warum ist das so?
Die Universität Kiel und auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sind zu dem Schluss gekommen, dass das größte Problem organisatorische Mängel in den Krankenhäusern sind. Sprich: Oft hat dort einfach niemand Zeit, sich um die Frage nach einer möglichen Organspende zu kümmern. Oder es sind im entscheidenden Moment gerade keine Neurologen verfügbar, um den Hirntod eines Patienten festzustellen. Wenn das Ganze für die Kliniken dann obendrein noch finanziell von Nachteil ist, gibt es eben wenige Organentnahmen. Es ist deshalb sehr gut, dass Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich einen Gesetzesvorschlag eingebracht hat, der genau diese Mängel beheben soll. Die Situation wird sich dadurch verbessern.
Spahn will aber in einem nächsten Schritt noch weiter gehen und die Zahl der Organspender durch die Einführung einer sogenannten Widerspruchslösung erhöhen. Wer nicht ausdrücklich widerspricht, wäre dann erst einmal automatisch Organspender. Sie stellen sich öffentlich gegen diesen Vorschlag.
Das stimmt. Ich halte diese Idee aus zwei Gründen für falsch. Zum einen gibt es fachlich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einführung der Widerspruchslösung automatisch zu mehr Organspenden führt. In Schweden sind die Spendenzahlen dadurch sogar zurückgegangen.
Und der zweite Grund?
Mein zweites Argument ist ein ethisches. Nichts zu sagen, kann niemals bedeuten, „Ja“ zu sagen. Das gilt in allen Teilen des Lebens, das muss auch in diesem wichtigen Bereich gelten. Schon durch den Begriff Organ-Spende wird doch klar, dass es sich um einen freiwilligen Akt handelt. Eine indirekte Organ-Abgabepflicht würde die Menschen verunsichern.
Aber Spahn schlägt doch eine sogenannte doppelte Widerspruchslösung vor. Das heißt, die Angehörigen könnten die Organentnahme am Ende noch verhindern, selbst wenn kein Widerspruch des Patienten vorliegt.
Ich habe als Arzt selbst auf einer Palliativ-Station gearbeitet und mit Angehörigen zu tun gehabt, die entscheiden mussten, ob es lebensverlängernde Maßnahmen geben soll oder nicht. Das waren für die Menschen sehr schwierige Situationen. Das wäre beim Thema Organspende ähnlich. Denn als Arzt müsste man diesen Menschen dann die Frage stellen: „Darf ich die Organe Ihres Angehörigen vielleicht doch nicht entnehmen?“ Das wäre doch obskur.
Wie sähe denn stattdessen Ihr Vorschlag aus?
Ich persönlich bin der Meinung, dass man Menschen klar fragen sollte, ob sie Organspender sein wollen oder nicht – beispielsweise immer dann, wenn sie ihren Personalausweis verlängern. So könnte jeder zu einer sehr bewussten Entscheidung darüber kommen. Es müsste aber auch dann immer noch die Möglichkeit geben, sich trotzdem nicht festzulegen. Denn nicht jeder ist psychisch oder intellektuell in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen.
Interview: Sebastian Horsch