Feucht – Selbst im Rathaus sind sie sich nicht sicher, ob den einstigen Bauamtsleitern klar war, was in dem Einfamilienhaus verborgen war. „Offiziell war uns das sicher nicht bekannt“, sagt eine Sprecherin. „Das Haus ist in den 40er-Jahren gebaut worden – wenn damals jemand wusste, dass zwei alte Eisenbahnwaggons eingemauert worden sind, dann ist das ziemlich wahrscheinlich im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten.“ Bis am Montag die Abrissarbeiten begannen.
Nachbarn und Spaziergänger standen am Jägerzaun und verfolgten neugierig, was auf der Baustelle in der Siedlung im fränkischen Feucht passierte. Wie ein Bagger das Heck des zehn Tonnen schweren Waggons in die Höhe wuchtete – und nach und nach immer mehr davon zum Vorschein kam. Beide Wagen waren komplett eingemauert – weder von innen noch von außen war das erkennbar. Lediglich die Rundbogen-Decken im Erdgeschoss deuteten darauf hin.
Ganz vergessen waren die beiden hundert Jahre alten Waggons aber doch nicht. Wie die „Nürnberger Nachrichten“ berichten, hatte der Großvater des heutigen Eigentümers für die Bahn gearbeitet und die Wagen einst organisiert. Vermutlich hatte der Bauherr damals keine Genehmigung für ein Haus erhalten, sondern nur für das Abstellen von Waggons. Das Haus hat er vermutlich drum herum gebaut. Mit diesem Trick hatte er versucht, die strengen Vorschriften zu umgehen.
Der jetzige Eigentümer hatte jedoch kein Interesse daran, die Wagen zu erhalten, er hätte sie zerschneiden und entsorgen lassen. Ganz anders allerdings Abbruchmeister Jürgen Perras. Er investierte ein paar Tausend Euro, forderte Kran und Transporter an und sorgte auf seinem eigenen Grundstück für den nötigen Platz, um die beiden Waggons zu restaurieren. Allerdings hatte er sich den Auftrag zunächst deutlich unspektakulärer vorgestellt. Er war von einer Unterkonstruktion ausgegangen, als er mit den Abrissarbeiten begann. Doch als Perras mit seinem Team im Keller stand, staunte er nicht schlecht: Er blickte nicht auf das Dach der Waggons – sondern auf den Unterboden. Mit zwei komplett erhaltenen Waggons hatte nach so langer Zeit niemand mehr gerechnet.
Mühsam befreiten die Männer die beiden Fundstücke Stein für Stein aus den Trümmern. Die Waggons der Deutschen Reichsbahn stammen aus den Jahren 1901 und 1922 und fuhren zuletzt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Noch immer sind an den Außenfassaden verblasste Schriftzüge von damals zu erkennen: Ein D und ein R – die Abkürzung für Deutsches Reich, dazwischen ein Reichsadler, darunter die noch erkennbaren Umrisse eines Hakenkreuzes. An einer anderen Stelle steht „10 Sitzplätze“. Im Inneren sind die Waggons tapeziert, Kabel hängen von der Decke, die Fenster sind teilweise noch zugemauert. Laut „Nürnberger Nachrichten“ plant Perras, sie in ein Büro und in einen Wellnessbereich zu verwandeln. Schon in sechs bis neun Monaten will er damit fertig sein.
Die Nachricht von den beiden Zugwaggons hat sich auch weit über Franken hinaus herumgesprochen. Auf der Internetseite der Bahnzeitschrift „Drehscheibe“ diskutierten Bahn-Begeisterte im Forum über die Entdeckung und luden Grafiken hoch, die zeigen, wie die alten Waggons damals ausgesehen hatten. „Ein echter Schatz, der da gehoben wurde“, kommentiert ein User. Ein anderer schreibt: „Bahnhistorisch ist das eine Sensation.“ kwo