RATGEBER PARODONTITIS

Gesunder Zahn, krankes Zahnfleisch

von Redaktion

VON NEDA CAKTAS

Bei heftigen Zahnschmerzen ist für die meisten schnell klar: Abwarten hilft da nicht weiter, hier muss der Zahnarzt ran. Doch so sehr sich viele auch um den Erhalt ihrer Zähne sorgen: Das Zahnfleisch lassen sie oft außer Acht. Dabei können Probleme auch auf eine Parodontitis hindeuten – und die müsse man „rechtzeitig und konsequent behandeln“, betont Prof. Reinhard Hickel, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Klinikum der Universität München – Antworten auf die wichtigsten Fragen.

-Was genau ist eine Parodontitis?

„Eine Parodontitis ist eine durch bakterielle Keime verursachte Entzündung des Zahnhalteapparats“, erklärt Hickel. Es ist also nicht nur das Zahnfleisch entzündet – eine solche „Gingivitis“ ist vergleichsweise schnell und gut behandelbar. Bei einer Parodontitis hingegen kann man die Entzündung zwar gut bekämpfen, sie heilt aber nicht mehr ohne bleibende Schäden am Zahnhalteapparat ab, warnt Hickel. Zum Zahnhalteapparat gehört übrigens alles, was die Zähne im Gebiss verankert, einschließlich des Knochens. Darin sind die Zähne nicht fest verkeilt, von der Zahnwurzel gehen stattdessen viele Fasern aus, die Zahn und Kieferknochen verbinden. „Der Zahn ist also schwebend in seinem Knochenfach aufgespannt.“

-Was macht die Erkrankung so gefährlich?

„Unbehandelt kann eine Parodontitis zum Zahnverlust führen“, warnt unser Experte. Einen ansonsten gesunden Zahn zu verlieren, ist aber nicht das einzige Problem. Die ständige Entzündung im Mund kann Folgen für den ganzen Körper haben. Studien zufolge fördert sie viele Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems: Arteriosklerose gehört dazu, Erkrankungen der Herzklappen bis hin zu Herzinfarkt und Schlaganfall. Es gibt einen klaren Zusammenhang mit Diabetes sowie Hinweise auf Korrelationen mit weiteren Erkrankungen – sogar mit Frühgeburten. Besonders bei einer Immunschwäche, eine solche kann auch Folge bestimmter Medikamente sein, sollte man eine Parodontitis dringend behandeln. Dann können sich Erreger aus dem Mund leicht im Körper ausbreiten – und beispielsweise zu einer lebensgefährlichen Entzündung führen.

-Auf welche Alarmsignale sollte man achten?

Auf eine fortgeschrittene Parodontitis deutet es hin, wenn das Zahnfleisch rot, geschwollen und empfindlich ist: Es schmerzt beim Zähneputzen oder Essen – und fängt auch oft zu bluten an. Im Anfangsstadium und bei bestimmten Verlaufsformen kann das aber nur der Zahnarzt diagnostizieren. Das ist ein Problem: In den Hohlräumen, den sogenannten Zahnfleischtaschen, können sich nämlich Bakterien besonders gut vermehren. Sie führen oft zu Mundgeruch. Durch die ständige Entzündung bildet sich aber auch das Zahnfleisch und der Halteapparat nach und nach zurück – die Zahnhälse werden sichtbar und schmerzempfindlicher. „Die Zähne erscheinen dann länger“, sagt Hickel. Unbehandelt geht nach und nach auch der Knochen zurück. Mit der Zeit lockern sich dann auch die Zähne – und können ausfallen. Auch den Knochen um Zahnimplantate kann diese Entzündung befallen. Patienten mit Parodontitis haben daher ein höheres Risiko für einen Implantatverlust. Das sollte man vor dem Einsetzen mit dem Zahnarzt besprechen.

-Was sind die Ursachen einer Parodontitis?

„Hauptursache ist neben einer genetischen Veranlagung eine unzureichende Mundhygiene“, sagt Hickel. Die einen putzen ihre Zähne nicht regelmäßig genug. Andere reinigen ihre Zähne zwar täglich – aber nur mit der Zahnbürste. Damit erreichen sie aber die Zahnzwischenräume nicht, in denen sich ebenfalls Beläge bilden. Diese lassen sich dort nur mit Zahnseide und Interdental-Bürstchen entfernen. „Man sollte nach jedem Putzen auch die Zahnzwischenräume reinigen“, rät Hickel. Der Zahnarzt sollte zudem regelmäßig Zahnstein entfernen. Dieser bietet Keimen nämlich beste Lebensbedingungen.

-Was erhöht das Risiko für eine Parodontitis?

Das können zum Beispiel Erkrankungen des Stoffwechsels sein, etwa die Zuckerkrankheit Diabetes. Gefährdet sind auch Rheumatiker und immungeschwächte Menschen. Risikofaktor Nummer eins ist aber das Rauchen. Der Körper hat es dann umso schwerer, sich gegen Bakterien zu wehren. Raucher sollten sich dabei nicht täuschen lassen: Sie haben zwar kaum Zahnfleischbluten, doch das bedeutet nicht automatisch, dass sie keine Parodontitis haben. Bei ihnen fehlt oft nur dieses sonst typische Symptom – weil Nikotin die Gefäße verengt.

-Wie stellt der Zahnarzt die Diagnose?

Wer regelmäßig zum Zahnarzt geht, hat schon viel getan: Denn dieser überprüft bei der Untersuchung nicht nur die Zähne, sondern auch Zahnfleisch und Mundhöhle. Bei einem Verdacht auf Parodontitis misst er an allen Zähnen die Tiefe der Zahnfleischtaschen. Dazu nimmt er eine schmale Parodontalsonde, die an der Spitze Längenmarkierungen wie ein Lineal hat. „Alles, was tiefer als drei Millimeter ist, deutet auf eine Parodontitis hin“, sagt Hickel. Wichtig sei es dabei, alle Zahnfleischtaschen auszumessen – pro Zahn jeweils an sechs verschiedenen Stellen. Der Arzt prüft auch, ob und wie stark sich Zähne gelockert haben. Das Ergebnis dokumentiert er. So erkennt er beim nächsten Besuch, ob die Krankheit fortgeschritten ist. Um einen möglichen Knochenabbau zu erkennen, sollte man auch Röntgenaufnahmen anfertigen.

-Wie behandelt man?

Entscheidend ist es, die Anzahl der pathogenen Bakterien zu reduzieren. Gelingt das, schaffe es der Körper, den Rest selbst zu erledigen, erklärt Hickel. Dabei gibt es, abhängig von der Ausprägung der Parodontitis, mehrere Methoden, die Keime loszuwerden. Die gängigste ist die „geschlossene Behandlung“. Dabei säubert der Arzt die Oberflächen der Zähne und ihrer Wurzeln mechanisch – und zwar mit einer Kürette, also einem zahnärztlichen Instrument bzw. mit einem Ultraschallgerät. Dank örtlicher Betäubung ist das für den Patienten nicht schmerzhaft. Nach der Reinigung spült man die Taschen zudem mit antibakterieller Lösung.

-Reicht das immer?

Nein. Sind die Taschen mehr als sechs Millimeter tief, ist in der Regel eine chirurgische Behandlung nötig. „Offene Kürettage“ nennt man dieses Verfahren. Der Patient erhält eine örtliche Betäubung. Dann öffnet der Arzt das Zahnfleisch per Skalpell und klappt es nach außen: Jetzt kann er Wurzeln und Zahnfleischtaschen gut erreichen – und sorgfältig reinigen. Danach vernäht er die Wunde. Da die Zahnhälse und Wurzeln nun sauber sind, kann sich das Zahnfleisch gut erholen. Mit der Zeit legt es sich wieder eng an den Zahn an. Ist auch der Knochen zurückgegangen, kann ein operativ-regeneratives Verfahren mit einem Protein-Gel helfen. Die Eiweiße darin fördern nicht nur die Regeneration des Knochens, sondern des gesamten Zahnhalteapparats. Sie helfen aber nur, wenn der Knochenabbau nicht zu weit fortgeschritten ist.

-Worauf kommt es nach der Behandlung an?

Nachsorge und Nachreinigung seien ganz entscheidend, sagt Hickel. Das gilt ganz besonders nach einer chirurgischen Behandlung. Nur wer dranbleibt, kann auf dauerhaften Erfolg hoffen. Regelmäßige Kontrollen beim Zahnarzt sind also Pflicht – bei Patienten mit hohem Risiko sogar in kürzeren Abständen, etwa alle drei Monate. Ist dieses gering, reichten auch halbjährliche bis jährliche Kontrollen. Dabei werden die Zahnfleischtaschen jedes Mal gereinigt und gespült. Patienten bekommen zudem Tipps, wie sie ihre Mundhygiene weiter verbessern können. Zahnseide und Interdentalbürstchen gehören auf jeden Fall dazu, auch wenn ihr Nutzen vor einiger Zeit in manchen Medien infrage gestellt wurde. Eine neue, qualitativ hochwertige Studie, die erst dieses Jahr veröffentlicht wurde, zeigt nun klar: Auf die zusätzliche Reinigung der Zahnzwischenräume sollte man auf keinen Fall verzichten. Raucher sollten zudem auch ihren Zähnen zuliebe unbedingt versuchen, damit aufzuhören.

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