Der Angriff kam buchstäblich aus heiterem Himmel: Am 18. April 1945, einem Mittwoch, um 14.53 Uhr erreichten zehn Boeing B-17, Bomber der Alliierten Streitkräfte, die Stadt Freising. Dann kam das Inferno: Aus etwa 5500 Metern Höhe erfolgte in zwei Staffeln dicht nacheinander ein Bombenhagel. Fast 360 Bomben trafen die Stadt an der Isar. Vor allem die Gegend um den Bahnhof. „Als ich, um Ausschau zu halten, an die Bahnsteigkante trat, sah ich, wie uns eine Gruppe feindlicher Flieger schnurstracks anflog“, berichtete der Bahnhofsvorsteher Martin Berger später. „Schon rauschten die Bomben. Ich hörte nur mehr ein Zischen, als mich der Luftdruck zurückwarf.“
Mit blutenden Wunden – ihn hatte ein Bombensplitter am Bein getroffen – schleppte sich Berger in einen Luftschutzkeller und wartete, bis der Horror vorüber war. Als er wieder ans Tageslicht kam, war der Bahnhof zerstört. Überall waren zerfetzte Leichen, zerstörte Eisenbahnwaggons, eine brennende Stadt. Der Luftangriff hinterließ die halbe Stadt verwüstet. Umso erstaunlicher ist es eigentlich, dass bis heute kein adäquates Denkmal an den Angriff und seine Opfer erinnert.
Immerhin gibt es aber eines in Buchform: Den Historiker Ernst Keller aus Fürholzen hat die Geschichte des Freisinger Luftangriffs seit Jahren nicht losgelassen. Akribisch hat er versucht, die Schicksale der Bombenopfer zu recherchieren – mit Erfolg. So stieß er auf bis vor einigen Jahren nicht bekannte Protokolle der „Kriminalpolizeistelle München – Außenstelle Freising“. Mindestens 224 Tote zählte Keller, zu 200 von ihnen sind Namen und zum Teil auch biografische Details bekannt. Bei einer Gruppe von Soldaten, die sich am Bahnhof aufgehalten hatte, war die Identifizierung nur mehr anhand von Erkennungsmarken oder dem Wehrpass möglich. Man weiß wenig von ihnen. Unter den Toten war aber auch, wie vor Jahren bekannt wurde, der Soldat Alfred Maiwald, der Vater von Achim Maiwald, dem Erfinder der „Sendung mit der Maus“. Auch die Großeltern des Münchner Pfarrers Rainer Maria Schießler fanden beim Angriff den Tod – auch ihn hat Keller befragt.
Jedes Schicksal, das Keller in einem Film und in seinem Buch „Als der Luftkrieg in unsere Heimat kam“ (Verlagshaus Kastner, 19.90 Euro) schildert, ist berührend. Unter den Toten war auch Magdalena Nerb, Witwe von Johann Nerb – der Mann war als Freisinger Bahnhofsvorsteher der Vorgänger von Berger und im Januar 1945 gestorben. Seiner Ehefrau wurde die Dienstwohnung im Bahnhofsgebäude „zur Todesfalle“, wie Keller schreibt. Sie hatte sich in den Keller des Gebäudes geflüchtet, war dann aber umgekehrt, um ihr Silberbesteck zu retten. Das wurde ihr zum Verhängnis. Eine Bombe traf das Haus – die Frau wurde durch die Wucht der Detonation auf die Gleise geschleudert, wo sie sofort starb. Ihr Sohn Hans musste die entstellte Leiche anhand der Ohrringe identifizieren. Diese Geschichte hat dem Historiker der Enkel des Ehepaares Nerb erzählt. Ein Grabstein aus jener Zeit, just beim Bombenangriff leicht beschädigt, existiert noch heute auf dem Freisinger Stadtfriedhof, wo das Ehepaar seine letzte Ruhestätte fand. Insgesamt gibt es wohl noch etwa 20 Grabsteine für die Toten des Luftangriffs. Keller ist froh, dass die Kirchenverwaltung St. Georg einen Beschluss gefasst hat, diese Grabsteine als Denkmal zu erhalten.
Mit seiner Veröffentlichung hat Keller ein großes Echo gefunden – das Internet macht’s möglich. Kürzlich erhielt er eine E-Mail aus Kapstadt, der Mann, Jahrgang 1940, erlebte den Bombenhagel als Kind im Postgebäude nahe des Bahnhofs mit.
Kürzlich erschienen im „Freisinger Tagblatt“ an einem Tag gleich zwei Todesanzeigen, die Ernst Keller sehr betroffen gemacht haben. Simon Kurz, Teichwirt aus Eching, sowie der Freisinger Geschäftsmann Georg Haslberger waren kurz nacheinander gestorben. „Sie waren zwei meiner wichtigsten Zeitzeugen“, bedauert Keller. „Ich bin froh, dass ich die Leute noch befragen konnte.“ Alle Aussagen hat er aufgenommen. Die unersetzlichen Dokumente sollen im Freisinger Stadtarchiv verwahrt werden. „In ein paar Jahren wird die Erlebnisgeneration ausgestorben sein.“ Dirk Walter