Prozess um sicheren halt

Vollbremsung im Bus: Wer haftet, wenn es Verletzte gibt?

von Redaktion

Ingolstadt/München – Wer haftet eigentlich, wenn sich ein Fahrgast in einem Linienbus verletzt, weil er sich bei einer Vollbremsung nicht festgehalten hat? Dieser Frage geht seit Freitag das Oberlandesgericht (OLG) München nach.

Der konkrete Fall liegt bereits sechs Jahre zurück. Im Mai 2012 war ein heute 43-Jähriger durch den halben Bus bis zum Fahrer (63) geschleudert worden. Videoaufnahmen zeigen, dass sich der 43-Jährige nach der Entwertung der Fahrkarte nur lässig gegen den Automaten gelehnt, nicht aber sich festgehalten hatte. Auf die Vollbremsung des Fahrers, dem ein Fußgänger plötzlich vor den Bus geriet, war der Passagier nicht gefasst. Rücklings fiel der 43-Jährige zu Boden und schleuderte durch den schmalen Mittelgang bis zum Fahrer. Dabei brach er sich die Schulter. Zudem erlitt er eine Nekrose, eine Gewebe-Zersetzung. Dem 43-Jährigen musste eine Schulter-Prothese eingesetzt werden.

In einem ersten Verfahren vor dem Landgericht Ingolstadt verlangte die Versicherung des Fahrgastes vom Busfahrer und der städtischen Verkehrsgesellschaft 120 000 Euro Schadenersatz. Im August vergangenen Jahres wurde die Klage abgeschmettert. Grund: Der 43-Jährige habe sich beim Anfahren des Busses keinen Halt verschafft, obwohl ihm dies ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Der Busfahrer sei nicht in der Pflicht gewesen, sich vor dem Anfahren zu vergewissern, ob der Mann einen Platz oder sonst wie einen Halt im Bus gefunden hätte, hieß es im Urteil. Dagegen legte der 43-Jährige Einspruch ein.

Das OLG nahm die Unfallsituation etwas genauer unter die Lupe. Demnach hatte der eigentlich routinierte Fahrer seinen Bus wohl massiv beschleunigt, möglicherweise auch etwas zu stark, um nach dem Sondersignal an den anderen Autos vorbei über alle Spuren zu ziehen. Laut Tachoscheibe fuhr er bis zu 60 Kilometer pro Stunde, erläuterte der Vorsitzende Franz Tischler. Nach Ansicht des Richters ist es auch fraglich, ob zum Unfallzeitpunkt tatsächlich eine Vollbremsung notwendig war. Zeugen hatten allerdings in erster Instanz ausgesagt, dass ein betrunkener Fußgänger vor den Bus gelaufen war und durch seine unsteten Bewegungen nicht erkennbar gewesen wäre, in welche Richtung sich der Mann bewegen wollte.

Der Richter riet beiden Seiten zu einem Vergleich, bei dem der Fahrgast 30 Prozent der Haftung übernimmt. Andernfalls drohe eine lange und teure Beweisaufnahme. Im September soll eine Entscheidung fallen. angela walser

Artikel 3 von 8