Besuch beim Gockelwettkrähen

Kikeriki!

von Redaktion

von Josef Ametsbichler

Aßling – Hochaufgeschossen steht er da, breitbeinig, Brust und Kamm geschwollen, Federn gespreizt. Nein, die Rede ist nicht von Portugals Stürmerstar Christiano Ronaldo, sondern von einem namenlosen Gockel, Rasse: Englischer Zwergkämpfer. Doch während der Portugiese erst heute bei der Fußball-Weltmeisterschaft auf dem Rasen antreten muss, war für den Engländer und seine Artgenossen gestern schon Turniertag: Beim Gockelwettkrähen.

Für den Geflügelzüchterverein Aßling (Kreis Ebersberg) mit seinen gut 85 Mitgliedern ist dieses Turnier einer der Höhepunkte im Kalenderjahr, erzählt Vereinsvorstand Georg Raig. Vor rund 200 Zuschauern vom Kleinkind bis zum Senior ist der 69-Jährige an diesem Tag schon zum 25. Mal der Gockel-Zeremonienmeister. Raig schreitet im grauen Trachtenjanker die 46 aufgereihten Käfige ab. Unter seinem grünen Filzhut hervor mustert er bunt gefiederte Sulmtaler, grün getupfte Appenzeller Spitzhauben und rundgeplusterte Seidenhähne, die schon mit den Krallen scharren.

Als Raig der anwesenden Menge die Turnierregeln entgegenruft, muss er sich immer wieder unterbrechen, wenn aus einem Käfig hinter ihm ein besonders gelungener Jauchzer eines ungeduldigen Wettbewerbers schallt. „Es muss schon ein gescheiter Kräher sein, ein Gackerer gilt nicht“, gibt der Chef den vor den Käfigen aufgereihten Strichlisten-Führern noch mit auf den Weg. Dann zieht er eine Stoppuhr aus der Tasche. Krähzeit: eine halbe Stunde.

Die Gockel lassen sich nicht lange bitten: Gellende, sich überschlagene Jauchzer wechseln sich mit sonoren, tiefkehligen Vibrati. So mancher schrilles Kreischen verendet abrupt in der Gockelkehle, während andere ihre Kräher zu sekundenlangen Tremoli strecken. Der Begriff Gackophonie drängt sich auf. Schnell häufen sich bei den einen die Kräh-Striche – andere Juroren haben fast gar nichts zu tun. Der vierjährige Lorenz, Raigs Enkel, ist mit seinem weiß-braunen Chabo-Gockel Johnny angetreten, der schüchtern in einer Käfigecke kauert. „Jetzt schläft er schon wieder“, sagt die Oma. Am Ende wird Johnny nur einen einzigen Anstands-Kräher vorzuweisen haben. Immerhin einen mehr als im Jahr davor – und noch gesundes Mittelfeld. Denn ganze 19 Gockel haben gar nicht gekräht. Am Käfig eines dieser Leistungsverweigerer hängt schon vor der Siegerehrung ein „zu verkaufen“-Schild. Bleibt nur zu hoffen, dass ihm nicht der Kochtopf droht.

Vor dem Käfig von Jackl, dem Wyandotten-Hahn von Sebastian Ludl dagegen staunen die Zuschauer. „Der kriegt ja den Schnabel gar nicht mehr zu“, sagt einer. 82 Kräher in 30 Minuten: Das ist einsame Spitze. Ludl heimst eine Schweineschulter als Siegpreis ein. Nicht schlecht, bei vier Euro Antrittsgebühr.

Darüber, was einen Siegergockel ausmacht, gehen die Meinungen auseinander. Züchter-Oberhaupt Raig rät dazu, die Turniergockel ein, zwei Tage vor dem Wettkrähen von ihren Hennen fernzuhalten und in einen abgedunkelten Käfig zu stecken, um sie zum Krähen zu motivieren. Patricia Kremsreiter von der Konkurrenz aus Miesbach, die mit eigens bestickten Westen ihres Geflügelzuchtvereins angetreten sind, winkt dagegen ab. „Trainieren kann man die Tiere nicht. Wer wie oft kräht, hängt von der Tagesform ab.“ Auch Sebastian Ludl, der souveräne Sieger, kennt sein Erfolgsgeheimnis entweder selbst nicht – oder er schweigt sich vornehm darüber aus. „Kein Doping“, versichert er jedenfalls mit einem Schmunzeln. „Ich haben den Gockel erst heute früh aus dem Hühnerstall rausgefangen.“ Vielleicht liegt es daran, dass Jackl öfter auf Ausstellungen dabei ist – und so Käfig und Zuschauermenge gewohnt ist.

Bleibt nur noch die Frage, wie es dem Ronaldo-Double, dem feschen Englischen Zwergkämpfer, ergangen ist: Er ist unter den Null-Punkte-Rohrkrepierern. Offenbar hat das Nerven- nicht mit dem Federkostüm mitgehalten.

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