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Die Mutter des Anlagebetrugs

von Redaktion

Wie Adele Spitzeder die Menschen in Bayern um Millionen prellte

Es ist ein kalter, nasser Novembertag im Jahr 1872, und in der Schönfeldstraße, einer der besten Adressen Münchens, ist der Teufel los. Seit Adele Spitzeder mit ihrer „Spitzederschen Privatbank“ hier residiert, hat es oft Menschenmengen vor dem Haus Nummer 9 gegeben. Normalerweise stehen die Leute Schlange, um ihr Erspartes zu unglaublichen Zinsen anzulegen. Heute versuchen sie panisch zu retten, was davon noch übrig ist.

Adele Spitzeder, eine gescheiterte Schauspielerin von mäßigem Talent, hat rund 33 000 Menschen aus München und Bayern um ihr Erspartes gebracht. 38 Millionen Gulden, heute umgerechnet 400 Millionen Euro, so die Schätzung. Die Opfer: Arbeiter, Dienstboten, Bauern. Das einfache Volk. Viele wollen nicht zugeben, dass sie aus Gier auf eine Betrügerin hereingefallen sind, eine Frau ohne Ausbildung und Eigenkapital. Spitzeder, eine Zigarren rauchende, frömmelnde Frau, die Zeitgenossen als „richtiges Mannsweib“ beschreiben, hat das erste bekannte Schneeballsystem der Welt aufgezogen.

Der Betrug beginnt klein, wie Julian Nebel in „Adele Spitzeder – Der größte Bankenbetrug aller Zeiten“ beschreibt, im Herbst 1869 mit einem Gespräch an der Isar in der Au. Adele Spitzeder ist 37, bankrott und ohne Arbeit. Trotzdem lebt sie mit ihrer Geliebten Emilie Stier in Saus und Braus. Und auf Pump. Einen Kredit löst sie mit dem nächsten ab. Sie könne sich das schönste Leben leisten, logiert im Hotel, weil jemand Geld für sie anlegt, erzählt sie einer fremden Frau.

Deren Mann ist Zimmerer, sie ist hochschwanger, und Spitzeder überzeugt beide, ihre Ersparnisse von 100 Gulden mit zehn Prozent Zinsen auf drei Monate bei ihr anzulegen. Die Zinsen der ersten beiden Monate zahlt sie direkt aus, das schafft Vertrauen. Was die braven Anleger nicht wissen: Das Geld, das sie als Zinsen auszahlt, ist in Wahrheit Teil der Einlage. Spitzeder hat ein System gefunden, stets liquide zu sein, mit dem Geld anderer Leute. Sicherheiten bietet sie ausdrücklich keine, das stört aber niemanden. Die Menschen sind elektrisiert. Mundpropaganda bringt ihr immer neue Kunden. Tatsächlich stimmt, was Spitzeder später in ihren Memoiren schreibt: „Es mehrten sich die freiwilligen Gelddarleiher nach und nach ins Unendliche, so dass ich es (…) mit einer wahren Kreditlawine zu tun bekam.“

München blüht in diesen Jahren auf, die Bahn verbindet das Umland mit der Stadt, die Menschen finden Arbeit in den Giesinger Fabriken. Ihr Geld tragen sie zu Adele Spitzeder. „Dachauer Bank“ nennen sie ihr Geschäft, weil viele Anleger aus der Region kommen. Schon bald braucht sie Angestellte, inzwischen vergibt sie auch Kredite. Schließlich muss Spitzeder das Hotel mit ihrer Entourage verlassen. Sie kauft das Anwesen an der Schönfeldstraße und zieht um, an der Tür ein Schild: Adele Spitzeder, Privatière. Es bleibt nicht bei dieser Immobilie, sie kauft Häuser in bester Lage. Und weil die „Münchner Neuesten Nachrichten“ kritisch über ihre Geldgeschäfte berichten, kauft sie gleich ein ganzes Zeitungsimperium, um dagegenzuhalten.

Lobende Berichte, Spenden an Kriegsversehrte, Waisen und andere Bedürftige sollen das Bild einer generösen, gottesfürchtigen Frau stützen. Doch nicht nur die „Neuesten Nachrichten“ haben ein Auge auf sie geworfen, auch Polizei und Innenministerium sind alarmiert: Die Münchner Banken machen hohe Verluste ihretwegen. Und weil ein System wie das ihre auf permanenten Geldfluss angewiesen ist, tun sich ihre Gegner zusammen und erzwingen massenhafte Auszahlungen, bis sie zahlungsunfähig ist.

Was erst nur Gerüchte sind, wird am 12. November 1872 wahr: Mit einer siebenköpfigen Gerichtskommission marschiert die Polizei bei Spitzeder ein, die Gant wird eröffnet – heute würde man es Insolvenz nennen. Der Vorwurf lautet auf Überschuldung, später wird man ihr auch Betrug vorwerfen. Beim Prozess schiebt sie alles auf ihre Angestellten. Doch es hilft nichts: Drei Jahre und acht Monate muss sie ins Gefängnis. „Ich war besiegt! Millionen waren durch meine Hände gegangen, Berge von Gold waren zu meiner Verfügung gestanden, die Wogen der Volksgunst hatten mich getragen, und nun war ich eine Gefangene!“

Aus der Haft entlassen, versucht Spitzeder es direkt wieder mit der gleichen Masche. Denn obwohl so viele so viel verloren haben, vertrauen die Menschen ihr immer noch blind ihr Geld an. Sicherheiten bietet sie immer noch keine, sie lernt aber dazu: Inzwischen besteht sie auf einen Haftungsausschluss. Als Spitzeder kurz darauf erneut vor Gericht steht, wird befunden, dass jeder, der jetzt noch Geld bei ihr anlegt, selbst schuld sei. Kathrin Brack

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