Kolumne

von Redaktion

Im Winter ist es manchmal eisüberzogen, aber auch jetzt ist es ein Hingucker. Immer wieder bleiben Passanten vor der Münchner Brunnenfigur stehen, nicht ahnend, dass es sich dabei um ein Objekt handelt, das vor gut 120 Jahren einen handfesten, in ganz Deutschland diskutierten Kulturskandal ausgelöst hatte.

Hunderte von gehäkelten, gestrickten oder geschneiderten Unterhosen hatten die erbosten Münchner Mathias Gasteiger, dem Bildhauer, zugeschickt. Ein Protest gegen sein Erstlingswerk, sein nackertes „Brunnenbuberl“, das seit 1895 die damaligen Grünanlagen des Münchner Stachus zierte und heute noch unweit des Karlstors zu sehen ist.

„Satyr und Knabe“ war der offizielle Titel der Skulptur, aber der gelehrte Titel konnte die moralische Entrüstung nicht verhindern. Dass die Nacktheit des Knaben allein allegorisch begründet sein sollte, nahm die Öffentlichkeit dem Künstler nicht ab. Prinzregent Luitpold war zwar nicht amüsiert über den Fall, zeigte sich aber gelassen, und das anstößige Brunnenbuberl blieb an seinem Fleck.

1897, zwei Jahre nach dem Skandal, bezog Gasteiger – Schüler von Syrius Eberle – zusammen mit seinem Malerfreund Julius Exter den alten Landsitz Deutenhofen im Bezirksamt Dachau und gründete eine „Mal- und Bildhauerschule“. In den vier Jahren seines Wirkens in Deutenhofen entstanden zahlreiche Brunnenfiguren, Grabskulpturen – und Kopien des auf einmal hochbegehrten Brunnenbuberls.

Freilich widmete sich Gasteiger in dieser Zeit nicht nur der hären Kunst, sondern auch seinen weiblichen Modellen. Gegen die hartnäckige Konkurrenz von Julius Exter – nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung entfloh dieser an den Chiemsee – konnte sich Gasteiger bei seiner bildschönen Schülerin Anna Sophie behaupten, die dann prompt Geliebte und spätere Ehefrau wurde. Anna Sophie Gasteiger entwickelte sich zur angesehenen Blumen- und Landschaftsmalerin, in späteren Jahren freilich auch zur Lieblingskünstlerin Adolf Hitlers.

Davon konnte um die Jahrhundertwende noch nicht die Rede sein. Das künstlerische Einkommen war schmal, und so musste 1901 das ehrgeizige Schulprojekt der Gasteigers wegen finanzieller Schwierigkeiten wieder aufgegeben werden. Die Versteigerungsmasse des Schlösschens Deutenhofen – ehemals Stammsitz der adeligen Familie v. Mandl – ergab immerhin noch ein hübsches Sümmchen, sodass das Ehepaar Gasteiger eine saure Uferwiese am Ammersee kaufen konnte. Die Bauern dort sollen ein Freudenfest gefeiert haben, nicht ahnend, Immobilien verschleudert zu haben, die nur wenig später ein Vermögen wert werden sollten.

Heute ist das Gasteigerhaus in Holzhausen ein staatlich gepflegtes und liebevoll restauriertes Museum. Im Schloss Deutenhofen – später Krankenhaus, Altenheim und Asylbewerberunterkunft – erinnert kaum mehr etwas an die künstlerische Vergangenheit, und auch die Aufregung um das nackerte Brunnenbuberl am Stachus hat sich gelegt.

Ein wenig gschamig schaut der Kleine hinüber zu Beate Uhse auf der anderen Straßenseite. Vielleicht bekommt er ja von ihr einmal ein Hoserl geschenkt!

Artikel 15 von 21