Unterwegs mit Feldgeschworenen

Die schweigsamen Grenzgänger

von Redaktion

von Josef Ametsbichler

Glonn – Anton Hauser, 71, steht vor einem frisch ausgehobenen Erdloch. Die Schaufel in der einen Hand, lupft er mit der anderen kurz den Hut und sagt: „Jetzt kommt ein kleines Geheimnis.“ Dazu ein Schmunzeln, kaum sichtbar hinter seinem Rauschebart. Gerade hat er mitten auf einem Acker bei Glonn (Kreis Ebersberg) aus Ellbogentiefe eine Fliesenscherbe ausgegraben. Er schiebt sie beiseite, darunter lugt ein Stück fingerdickes Eisenrohr aus dem Loch. Ein geheimer Fixpunkt, der als „Sicherungsmaß“ zur Landvermessung dient.

Außer dem Vermessungsamt wissen nur Anton Hauser und Sepp Winhart (38), wo genau die Markierung vergraben ist. Sie sind Feldgeschworene in der 5000-Einwohner-Gemeinde und damit Teil eines schweigsamen Zirkels mit geradezu geheimbündlerischer Aura. Als Zeugen jeder Grundstücksvermessung erfahren die Feldgeschworenen viel über die Geschäfte mit der teuren Ware Boden – und schweigen darüber eisern. „Dazu sage ich nichts“, ist die endgültige Antwort, mit der Hauser allzu neugierige Nachfragen kontert.

Sein Schweigen hat Tradition. Aus jahrhundertealten Mark- und Feldgerichten hervorgegangen, wurde Bayerns ältestes kommunales Ehrenamt 1868 erstmals landesweit gesetzlich geregelt. Als der bayerische Boden noch nicht komplett digital kartiert war, waren die Feldgeschworenen Gewährsmänner dafür, dass sich kein gieriger Grundstücksbesitzer an den Grenzsteinen vergriff, um so heimlich ein Stück vom Nachbargrundstück einzuheimsen.

Um das zu verhindern, markieren bis heute viele der bayernweit rund 20 000 Feldgeschworenen – darunter etwa 50 Frauen – die Grenzsteine mit geheimen Zeichen aus Ton, Porzellan, Glas oder Metall. So können sie kontrollieren, ob ein Stein illegal versetzt wurde. Denn welche Zeichen sie in welcher Anordnung platzieren, verraten sie niemandem – außer anderen Feldgeschworenen. Jeder von ihnen legt einen Eid ab, dieses Siebenergeheimnis genannte Wissen mit ins Grab zu nehmen. Es heißt so, weil es in einer Gemeinde meist sieben Feldgeschworene – kurz: Siebener – gibt.

Hauser und Winhart stapfen durch knöchelhohe Halme. Von der Straße aus dirigiert sie ein Mitarbeiter des Vermessungsamts per Laser-Messgerät zu dem Ort für einen neuen Grenzstein, der ein Baugrundstück abmarken soll. Hauser, Obmann der Glonner Feldgeschworenen, hat angefangen, als die Vermesser noch mit Maßband und Lotstab unterwegs waren. Seit über 40 Jahren ist er vereidigter „Siebener“. Ob die Hightech-Vermessung sein Ehrenamt irgendwann überflüssig macht? „Nicht, solange es Eigentum gibt“, sagt er. „Boden ist viel zu teuer, um damit sorglos umzugehen. Und die Handarbeit bleibt.“

In Glonn gibt es zwar kein Siebenergeheimnis – es ist im Digital-Zeitalter ohnehin eher gelebtes Brauchtum als Notwendigkeit –, aber ohne die Feldgeschworenen als Zeugen kommt in Glonn und vielen anderen Gemeinden kein Grenzstein in den Boden. Hauser, Landwirt im Ruhestand, treibt mit seinem Gummistiefel das Schaufelblatt in die feuchte Erde und schafft mit geübten Schwüngen ein knietiefes Loch. Ohne Schwitzen, ohne Keuchen. „Der Toni ist zäh“, sagt sein Kollege Sepp Winhart über den 71-Jährigen, der gar nicht daran denkt, dem Jüngeren das Schaufeln zu überlassen.

Vielleicht ist es auch die Gewohnheit, alleine zu arbeiten. Denn wie viele Ehrenämter plagen auch die Feldgeschworenen Nachwuchssorgen. Junior-Siebener Winhart hat seinen Schwur erst im vergangenen Jahr geleistet. Die Nachfolge machen die Feldgeschworenen strikt unter sich aus, ohne dass sich Gemeinde oder Vermessungsamt einmischen. „Es ist eine Ehre, gefragt zu werden“, sagt Winhart, während er den 40-Zentimeter-Grenzstein in das Erdloch hievt. Hauser nickt. „Aber viele haben nicht die Zeit für diese Arbeit“, sagt er. Um die 15 Euro Aufwandsentschädigung gibt es pro Stunde – reich wird man davon bei ein paar Einsätzen im Monat nicht.

Der letzte Grenzstein ist zentimetergenau vergraben. Hauser und Winhart stehen am orangefarbenen Wagen des Vermessungsamts und unterschreiben das Abmarkungsprotokoll. Danach müssen sie noch weiter, ein Landwirt hat versehentlich zwei Grenzsteine ausgeackert, die es wieder einzusetzen gilt. Auch das gehört zu den Aufgaben der Siebener, genau wie das regelmäßige Begehen der Gemeindegrenzen und ihrer Markierungen.

Daran, dass jemand absichtlich einen Grenzstein verrückt hätte, kann sich der altgediente Feldgeschworene Hauser nicht erinnern. „Die Zeiten sind lang vorbei“, sagt er. Nur einmal habe es in seiner Dienstzeit größere Unstimmigkeiten an einer Grundstücksgrenze gegeben. Was genau da los war? Hauser winkt ab. „Dazu sage ich nichts.“

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