Der Rutschenkönig von Starnberg

von Redaktion

Von Sebastian Raviol

Ein Essen mit den Chinesen, es könnten die letzten Verhandlungen vor dem Abschluss sein. Rainer Maelzer serviert Weißbier und Weißwürste für die 15 Menschen in Fernost, er hat die bayerischen Schmankerl extra mitgebracht. Die Chinesen zögern. „Weg mit den Stäbchen“, fordert Maelzer die Verhandlungspartner auf. Ein paar Weißwürste rutschen zwischen Messern und Gabeln vom Tisch, ein paar Chinesen sind schon nach einem Weißbier betrunken. Und es gibt den Zuschlag. „Wir haben gebaut“, sagt Maelzer. 24 Rutschen, 7,8 Millionen Euro.

Die Produktion übernimmt Geschäftspartner Hendrik Wiegand mit 300 Mitarbeitern in Hessen, um den Vertrieb kümmert sich Maelzer in Starnberg, Stadtteil Percha. Hier sitzt er mit seinen zwölf Mitarbeitern in lichtdurchfluteten Büros, die nahe Autobahn ist nicht hörbar, der Starnberger See fast in Sichtweite. Hier entstehen Ideen für neue Rutschen. Am Ufer des Sees, im Wasserpark, steht eines von Maelzers Werken.

Maelzer, groß, die lockigen Haare sauber zur Seite gelegt, spricht über die Region. Er atmet tief ein. „Diese Luft gibt es woanders nicht“, sagt er, „in China, dieser Smog.“ Wenn Maelzer schwärmt, dann spricht er leise. Man muss auf seine Worte achten. „Kann es denn irgendwo schöner sein als hier?“ Die Antwort ist offensichtlich, wenn der Rutschen-Unternehmer von seiner morgendlichen Anfahrt aus Pullach erzählt und davon, wie klar er dabei auf die Berge schauen könne. „Eine wunderschöne Landschaft, herrlich.“ Dann steht er vor dem Wasserpark. Aus dem grauen Gebäude ragt eine gelbe geschwungene Rutsche heraus. „Ich finde es mit der Architektur gelungen“, sagt Maelzer. Gerne hätte er eine noch viel größere Rutsche gebaut. „Rutschen müssen Attraktionen sein“, findet er.

Was er damit meint, zeigt er später in seinem Büro. An der Wand hängt ein großes Plakat. Sotschi. 110 000 Quadratmeter Fläche, 40 Rutschen für 20 Millionen Euro. Es wäre das größte Projekt der Unternehmensgeschichte. Kinderrutschen in Freibädern kosten um die 10 000 Euro, bei Großprojekten kommen aber auch mal zehn Millionen Euro zusammen.

Wenn ihn Freunde ärgern wollen, sagen sie, er mache seine Geschäftsabschlüsse in der Badehose. Natürlich rutscht er mit interessierten Käufern Probe, sagt Maelzer. Alle zwei Wochen rutscht er. Nur genießen kann er das nicht. „Entweder, es ist eine Rutsche von uns – dann schaue ich, was man besser machen kann. Oder es ist die Rutsche eines Mitbewerbers.“ Und die Konkurrenz soll nicht besser sein.

Sein Unternehmen steht irgendwo hinter den drei weltweit größten Rutschen-Herstellern aus Kanada und der Türkei, sagt Maelzer. Vor drei Jahren gab er die Top 3 als Ziel aus. Heute sagt er: „Ganz schön sportlich.“ Jedes Jahr bereisen er und seine Mitarbeiter – jeder spricht drei Sprachen, manche sieben – Messen in Deutschland, Russland, Amerika und Indien. So kommen viele Aufträge zusammen, auch durch Weiterempfehlungen in der Branche. „Mit der Planung kommen wir hier an gewisse Grenzen“, sagt Maelzer. Er investiert viel, vor allem Zeit.

Ein Anruf aus China, kurz vor Weihnachten. Seit drei Jahren hat Maelzer auf das Projekt hingearbeitet. Dann heißt es, der Verhandlungspartner wolle vor dem Abschluss noch mal mit ihm sprechen. Maelzer fliegt am 25. Dezember. Seine Tochter fragt ihn, warum er das macht, der chinesische Partner hält ihn vor Ort hin. „Da fragt man sich: Was bist du denn für ein Vater?“ Beim Heimflug hat Maelzer den Vertrag in der Tasche – und ist zufrieden. „Manchmal muss man harte Wege gehen, um Projekte zu verwirklichen“, sagt er.

So wie vor sieben Jahren in Haiti, nach dem Erdbeben. Ein Unternehmer fragt bei Maelzer eine Rutsche an. Der Pullacher fliegt hin, sieht aus seinem von Schusslöchern durchbohrten Auto überflutete Straßen, hungernde Kinder. Einen meterhohen Zaun und drei Sicherheitsschleusen später sieht er Touristen. Ein abgesperrtes Paradies. Amerikaner in Hawaii-Hemden, die an der Bar Cuba Libre trinken und Maelzer später erzählen, dass es Haiti gar nicht so stark getroffen haben kann. Maelzer macht sich Gedanken über seine Arbeit, über Armut, Kommerz und Bespaßung. Zurück am Schreibtisch in Percha unterschreibt er. Eine Rutsche für 400 000 Euro. „Ich muss meine Mitarbeiter irgendwie bezahlen“, sagt er.

Es sind die Schattenseiten seiner Arbeit. Lieber spricht Maelzer über große Projekte. Er kann sich schnell sehr stark für etwas begeistern, sagt er, dann lasse seine Euphorie aber genauso stark nach. Und es muss etwas Technisches sein. „Waschmittel würde mir als Produkt nicht so liegen.“

Am Slidewheel ist er aber schon seit Jahren dran, mit voller Euphorie. Das Prinzip dieser neuartigen Rutsche: Nicht zu wissen, ob man in einem Riesenrad oder in einer Rutsche ist. 24 Meter hoch, 140 Meter lang, es soll ein völlig neues Erlebnis sein. Es kommt dem Lieblingserlebnis nahe, das Maelzer beim Rutschen sucht: „Den Moment der Schwerelosigkeit, und das mehrfach.“ Erfunden hat das Slidewheel ein Neunjähriger. Der kam auf die Idee, eine Rutsche könne sich doch drehen. Das Patent für das Slidewheel teilt sich Maelzer mit dem Vater des Buben. „Keiner hat sich getraut, das zu bauen“, erzählt er. Die Starnberger haben sich das Projekt geschnappt. „Das überrennt uns förmlich. Man hat das Gefühl, alle wollen sie haben.“

Vier Millionen Euro. Von einer Messe in Orlando hat er einen daumenhohen Papierstapel mitgebracht, Anfragen aus aller Welt. Inzwischen soll ein Slidewheel im chinesischen Chimelong Paradise stehen, bald auch in der Thermenwelt Erding. Währenddessen hat Maelzer in Erding eine andere Neuerung platziert. Dort gibt es seit ein paar Wochen eine Rutsche, auf der man eine VR-Brille trägt. Die Nutzer rutschen gewöhnlich, sehen dabei aber eine Galaxie oder Tierwelt. Der Pullacher hat noch viel mehr solcher Ideen auf Lager. Einmal ist er nachts aufgewacht, in Gedanken beim Oktoberfest. Dieses schaukelnde Piratenschiff – wäre das nicht auch als Rutsche umsetzbar?

Zwischen all den Ideen kümmert sich Maelzer um sein Hauptabsatzprodukt, eine Edelstahlbreitrutsche. Und er spricht mit Kunden. Am Mittag kommen Verhandler aus dem Oman. Die Gäste aus dem Mittleren Osten denken groß, an eine Badelandschaft, eine Shopping-Mall – und an Rutschen von Rainer Maelzer.

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