Eching – Joachim Enßlin ist in seiner Gemeinde Eching (Kreis Freising) in keinem Asylhelferkreis aktiv. Aber als ehemaliger Bürgermeister kennt er viele Ehrenamtliche gut. So hat er von einem Problem erfahren, vor dem in Bayern aktuell tausende Flüchtlinge stehen: Sie schulden dem Staat viel Geld – und wussten das lange Zeit nicht.
Betroffen sind die Flüchtlinge, die arbeiten oder gearbeitet haben und in staatlichen Unterkünften leben. Sie müssen für Unterbringung, Verpflegung und Heizkosten bezahlen, wenn sie ein Einkommen über 177 Euro monatlich haben. Das gilt auch für sogenannte Fehlbeleger, also Flüchtlinge, die bereits anerkannt sind, aber noch in der Unterkunft leben, weil sie keine Wohnung finden. Diese Gebühren wurden bis September 2016 von den Landratsämtern erhoben. Wegen der hohen Flüchtlingszahlen allerdings sehr lückenhaft. Vor anderthalb Jahren wurden diese Gebühren massiv erhöht, gleichzeitig hat die bayernweit für die Gebührenabrechnung zuständige Regierung von Unterfranken die Zustellung der Bescheide übernommen und arbeitet die Rückstände seitdem sukzessiv ab. Nach und nach bekommen Flüchtlinge in Bayern seitdem dicke Briefe, in denen die fälligen Nachzahlungen aufgelistet sind. Und die belaufen sich in einigen Fällen auf hohe Summen. Die meisten Flüchtlinge können diese Schulden mit ihrem geringen Verdienst auch in Raten kaum abzahlen – zumal viele durch die Arbeitsverbote inzwischen ihre Stellen verloren haben.
Enßlin konnte nur den Kopf schütteln, als ihm sein guter Bekannter Franz Nadler von einem jungen Mann aus dem Irak erzählte. Er teilt sich in einer Unterkunft in Dietersheim ein 35-Quadratmeter-Zimmer mit vier anderen Flüchtlingen. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, zwei Duschen für bis zu 50 Asylbewerber. Für diese Unterbringung soll der Mann monatlich 311 Euro zahlen. Hätte er keine Arbeit, würde er nicht nur nichts zahlen müssen, sondern vom Staat monatlich 135 Euro Taschengeld bekommen. Weil er arbeiten wollte, sind seit 2015 aber Schulden in Höhe von 4202 Euro zusammengekommen, von denen er erst vor Kurzem erfuhr. Mit seinem Job als Küchenhilfe verdient der inzwischen anerkannte Flüchtling zwischen 1000 und 1400 Euro netto. Wie er damit die Schulden zurückzahlen soll, weiß er nicht. Wie er mit ihnen eine Wohnung finden soll, weiß er auch nicht. So lange er in der Unterkunft bleibt, werden monatlich weitere 311 Euro fällig. Deutlich mehr, als er zum Beispiel für ein WG-Zimmer zahlen würde.
Genau das ist es, was Joachim Enßlin kritisiert. „Nicht die Gebühren ärgern mich, sondern ihre Höhe“, betont er. Auf den Quadratmeter heruntergerechnet entspreche der Betrag einer Nutzungsgebühr von knapp 35 Euro. „Der Staat zahlt für die Anmietung der Unterkunft nur etwa ein Drittel dessen, was er an Nutzungsgebühren festsetzt.“ Für Familien kommen sogar vierstellige Summen zusammen, obwohl sie auf engem Raum leben. „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die Summe nicht auf die Fläche, sondern auf die Zahl der Personen bezogen ist“, sagt Enßlin. Er spricht von „Mietwucher“. Gegen die sogenannte Asyldurchführungsverordnung, auf der die Gebühren basieren, hat er deshalb eine Popularklage eingereicht. Die Staatsregierung hat sich für ihre Äußerung eine Fristverlängerung bis Juni erbeten. Danach entscheidet das Verfassungsgericht über die Klage. Enßlin, selbst Jurist, ist optimistisch. „Auch mein Anwalt beurteilt die Erfolgsaussichten als gut“, sagt er. Und selbst wenn das Gericht die Klage abweist, hätte sie etwas gebracht, findet er: „Wir hätten zumindest den Blick auf dieses Problem gelenkt.“
Dafür ist ihm Asylhelfer Franz Nadler sehr dankbar. „Wir Ehrenamtliche stehen vor so vielen Problemen“, sagt er. „Nun müssen wir auch noch Gebührenbescheide und Nachzahlungen erklären, die wir selbst nicht verstehen.“ Erst neulich hat ihn wieder ein Asylbewerber gefragt, warum er arbeiten soll, wenn er doch ohne Arbeit sogar mehr Geld zum Leben hätte. Franz Nadler wusste nicht, was er ihm antworten soll.