Chemikalie im Trinkwasser

Das Wasser und die Angst

von Redaktion

Von Maximilian heim

Altötting – Das Problem liegt tief im Boden. Man kann es nicht sehen oder schmecken. Vielleicht war das Interesse vieler Bürger an der Chemikalie PFOA deshalb lange recht gering, hier im Landkreis Altötting, unweit der österreichischen Grenze. Mittlerweile aber herrscht große Aufregung in der Gegend. Denn im vergangenen November wurde einer größeren Öffentlichkeit bekannt: Über das Trinkwasser ist der Stoff ins Blut hunderter Menschen gelangt. Das hat die nachträgliche Auswertung von Blutspenden ergeben. In der Gemeinde Emmerting etwa lag der durchschnittliche PFOA-Wert im Jahr 2015 zwanzigmal höher als bei vergleichbaren Proben in München. Viele Eltern drängten in der Folge darauf, in Kindergärten und Schulen nur noch abgefülltes Mineralwasser aus Flaschen zu nutzen.

Und mit der Aufregung kamen die Fragen. Ist das Trinkwasser inzwischen unbedenklich, haben die Behörden gehandelt? Und was sind die gesundheitlichen Folgen der bis 2008 legal im nahen Chemiepark eingesetzten Perfluoroctansäure?

Aus dem Landratsamt heißt es, man habe „früh auf „die Thematik reagiert“. Seit Langem ist bekannt, dass der Stoff über die Alz und über Feinstaub ins Grundwasser gelangt ist. Manche Brunnen hätten Aktivkohlefilter erhalten, die das PFOA auffangen. Andere Brunnen seien geschlossen worden. Allerdings gebe es keinen Grenzwert für die Konzentration des Stoffs im Wasser. Nur einen Leitwert, zuletzt 2016 vom Bundesumweltamt gesenkt.

Für manche ist das ein Beweis, dass man den Stoff auch in der zentralen deutschen Umweltbehörde für nicht unbedenklich hält. Nicht der einzige Unmut. Holger Lundt vom Bund Naturschutz in Altötting wirft den örtlichen Behörden vor, die Auswertung der Blutspenden versteckt gehalten zu haben. Tatsächlich lag der Bericht unter einem zumindest irreführenden Titel fast ein Jahr lang auf der Webseite des Landesamts für Gesundheit. Auch die Aktivkohlefilter seien erst spät eingebaut worden, nach langem Finanzierungsstreit.

Im Sommer sollen die letzten Brunnen in der Region einen solchen Filter erhalten. Dass das notwendig ist, zeigt eine Studie, die der Chemiepark nach einigem Zögern finanziert hat. Demnach wird die PFOA-Konzentration im Boden weiter steigen, wohl bis zum Jahr 2050. Da hilft es auch nicht, dass der Stoff seit zehn Jahren nicht mehr verwendet wird – und von der EU ab 2020 verboten ist.

Wenig steht fest in dieser komplizierten Geschichte. Bekannt ist, dass sich der PFOA-Wert im menschlichen Körper alle drei Jahre halbiert. Es dauert also lange, bis der Stoff gänzlich aus dem Blut verschwunden ist. Vor einigen Wochen wurde im Zuge dessen bekannt, dass das Rote Kreuz in Altötting gespendetes Blutplasma derzeit „nicht mehr am Menschen“ verwendet.

Unklar ist dagegen, welche Folgen PFOA für die Gesundheit hat. Der Stoff sei „nicht tumorrelevant“ erklärt das CSU-geführte Landratsamt. Auffälligkeiten bei Schilddrüse, Stoffwechsel und Fruchtbarkeit seien aber nicht auszuschließen. „In den USA hat es einzelne Fälle von Nierenkrebs gegeben“, sagt Naturschützer Lundt. Allerdings bei deutlich höheren Konzentrationen als jenen in Altötting.

Schon 2006 hatten Greenpeace-Aktivisten erhöhte Werte im Flusswasser der Alz gemessen. Einige Bürger klemmten sich daraufhin hinter das Thema, ließen ihr Blut auf eigene Kosten testen. Von den Behörden, so lautet ihr einhelliger Vorwurf, sei damals nichts gekommen. Allerdings hat das belastete Wasser viele Bürger offenkundig auch nicht gestört. Der Chemiepark ist bis heute ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. Von einer „Ja, mei-Mentalität“ berichten Aktivisten.

Das hat sich geändert. Breit angelegte Bluttests sollen jetzt Klarheit bringen. 931 Freiwillige aus sechs Untersuchungsgebieten machen bei der vom Landratsamt organisierten Studie mit. Die ersten Proben sind bereits genommen. Resultate soll es wohl im Sommer geben. Bis dahin wird das Thema auch im Bayerischen Landtag zur Sprache kommen. Der SPD-Umweltpolitiker Florian von Brunn sagt: „Ich sehe Parallelen zum Skandal um das Bayern-Ei.“

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