München – Die Debatte um die Abschiebungen nach Kabul wird schärfer – nicht nur wegen der Sicherheitslage in Afghanistan. Einige Stunden, bevor gestern wieder ein Flugzeug mit rund 20 Männern Richtung Afghanistan gestartet ist, hat der Flüchtlingsrat dem Innenministerium Wortbruch vorgeworfen. Wegen Fällen wie dem von Asef S.: Er lebt seit sechs Jahren in Bayreuth, gilt als gut integriert, hat eine feste Arbeitsstelle. Er habe sie nichts zu schulden kommen lassen, betont Flüchtlingsrats-Sprecher Stephan Dünnwald. Auch seine Identität sei geklärt. Nur habe er die offizielle Tazkira zu spät vorgelegt. Für die Behörden gilt er damit als Identitätsverweigerer. Deshalb saß S. im Flugzeug nach Afghanistan.
Neben ihm sollten auch acht weitere junge Männer aus Bayern abgeschoben werden. Einer davon ist ein 27-Jähriger, der gerade im Raum Coburg eine Ausbildung im Hauswirtschaftsbereich macht. Auch ihm wird vorgeworfen, seine Identität nicht nachgewiesen zu haben. „Seine Identität ist geklärt, sonst hätte er keinen Ausbildungsplatz bekommen“, sagt Dünnwald. Nach Informationen seiner Betreuer soll der junge Mann nicht im Flugzeug gesessen haben. Die Polizei war offenbar nicht in der Unterkunft erschienen, um ihn abzuholen. Dennoch ist der Protest besonders in Coburg und Bayreuth groß. „Wenn wir diese Fälle als Identitätsverweigerer klassifizieren, trifft das auf einen Großteil aller in Bayern lebenden Afghanen zu“, sagt Dünnwald. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte mehrfach versichert, abgeschoben werden würden Straftäter, Gefährder und hartnäckige Identitätstäuscher. Außerdem hatte er betont, Abschiebungen von Auszubildenden sollen nur in extremen Ausnahmesituationen stattfinden. „Ein weiterer Wortbruch“, sagt Dünnwald.
Dieselbe Kritik kommt auch von Stephan Reichel, vom Verein „Matteo – Kirche und Asyl“. „Es gibt nicht mehr viele afghanische Straftäter in Deutschland“, sagt er. „Nun werden aberwitzige Anforderungen an den Identitätsnachweis gestellt, um Afghanen abschieben zu können.“ Für die meisten Afghanen sei es schlichtweg unmöglich von Deutschland aus an einen afghanischen Pass oder die offizielle Tazkira zu kommen. Dadurch werde auch die Regelung, keine Auszubildende abzuschieben, systematisch gebrochen. Das habe Folgen, betont Reichel. „Auch viele afghanische Flüchtlinge, denen keine Abschiebung droht, sind in Panik, verlassen ihre Heime, Schulen und Ausbildungsstätten und tauchen ab.“
Dass Bayern die Kriterien für die Afghanen „besonders großzügig zu deren Lasten auslegt“, würden auch die Zahlen beweisen, sagt Reichel. In dem Flugzeug sollten neun Männer aus Bayern sitzen und rund zehn Afghanen aus allen anderen Bundesländern. „Unter ihnen sind sicher auch Straftäter“, sagt Flüchtlingsratssprecher Dünnwald. Aber längst nicht nur Fälle, die für die Gesellschaft eine Gefahr darstellen würden. An Bord des letzten Fliegers seien beispielsweise ein Mann gewesen, der wegen Bagatell-Diebstählen verurteilt worden war. Ein anderer war mit Drogen erwischt worden. Und viele hätten es eben einfach nicht geschafft, die offiziellen Dokumente aus Kabul zu besorgen.
Das Innenministerium äußerte sich zu den Vorwürfen gestern nicht.