München – Er war etwa so groß wie eine Taube und lebte vor 150 Millionen Jahren. Der Ur-Vogel Archaeopteryx fasziniert Forscher. Denn er ist nicht nur der älteste Vogel, sondern belegt als Übergangsform zwischen Reptilien und Vögeln auch, dass die heutigen Vögel direkte Nachfahren von Raubdinosauriern sind. Mehrere Fossilien des gefiederten Tieres wurden in Bayern gefunden, darunter auch das älteste Skelett im Jahr 1855, das sogenannte Haarlemer Exemplar.
Palöontologen der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) haben dieses Exemplar nun erneut untersucht – und sie kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis. „Es ist keiner der berühmten Ur-Vögel“, fasst Oliver Rauhut das Ergebnis der Untersuchung in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „BMC Evolutionary Biology“ zusammen. Das untersuchte Exemplar zeige einige Unterschiede zum Archaeopteryx auf.
Stattdessen, so die Forscher, gehöre das Fossil zu einer Gruppe vogelähnlicher Raubsaurier, die vor wenigen Jahren erstmals in China identifiziert wurden: die sogenannten Anchiornithiden. Diese eher kleinen vogelähnlichen Saurier aus China hatten Federn an Armen und Beinen und sind noch älter als der Archaeopteryx. „Das Fossil ist der erste Nachweis dieser Gruppe außerhalb Chinas und in Europa“, sagt Rauhut. Außerdem ist es neben dem Archaeopteryx erst der zweite vogelähnliche Raubsaurier aus der Jurazeit, der außerhalb Ostasiens gefunden wurde. „Damit stellt es eine noch größere Rarität dar als die Exemplare des Archaeopteryx“, sagt Rauhut.
Gefunden wurde das Fossil in Jachenhausen im sogenannten Solnhofener Archipel im Altmühltal. Anhand der neuen Forschungsergebnisse zeigt sich laut den Wissenschaftlern, dass die Raubsaurer aus dem Osten Asiens bis in das Solnhofener Archipel expandierten. Das Haarlemer Exemplar würde damit zu den ersten Ankömmlingen seiner Gruppe in Europa gehören.
Vor 150 Millionen Jahren sah das Solnhofener Archipel noch ganz anders aus: Es war eine Insel-Landschaft, die sich Richtung Westen und Süden zum Meer hin öffnete. Viel weiter dürften sie nicht gekommen sein – denn die Anchiornithiden konnten im Gegensatz zum Archaeopteryx nicht fliegen.
Oliver Rauhut plädiert nun dafür, auch die anderen bislang entdeckten Fossilien genauer zu untersuchen. „Nicht alles, was in den Solnhofer Platten gefunden wird, muss ein Archaeopteryx sein.“ Auch einen neuen Namen soll das Fossil bekommen. Bislang wird es als „Haarlemer Exemplar“ bezeichnet, weil es in dem niederländischen Ort im Museum aufbewahrt wird. Nun schlagen die Forscher den Namen „Ostromia“ vor – nach dem amerikanischen Paläontologen John Ostrom, der das Fossil in den 1970er-Jahren erstmals als Raubsaurier erkannte. dg