Wilken Bormann (48) hat, wie er selbst sagt, „das wahrscheinlichste schönste Büro der Lufthansa“. Von seinem Schreibtisch aus blickt der Münchner Lufthansa-Chef direkt auf die Süd-Startbahn des Flughafens, wo im Minutentakt die Maschinen abheben. Bormann stammt aus dem Dorf Hoya an der Weser nahe Bremen, sein Vater war Landwirt und übergab den Hof an seinen ältesten Sohn. Wilken Bormann war der zweitälteste – und so studierte er Wirtschaftswissenschaften. Dann ging er zur Lufthansa, wo er seit dem Frühjahr an der Spitze des Standorts München steht. Ein Gespräch über hohe Preise, unrentable Flüge und die dritte Startbahn.
-Herr Bormann, müssen die Lufthansa-Kunden dauerhaft mit höheren Preisen leben?
Nein. Vergleichsweise höhere Preise für einzelne Tickets betreffen sehr kurzfristige Buchungen auf stark frequentierten Strecken. Nach der Freigabe der EU-Kartellbehörde rechnen wir mit einer Entspannung, da wir dann zusätzliche Flüge anbieten können. Aber ich will Ihnen erklären, wie es zu der Entwicklung gekommen ist. Durch die Stilllegung der Air-Berlin-Maschinen gibt es einen Kapazitätsengpass, es fehlen derzeit 60 000 Sitzplätze täglich im innerdeutschen Verkehr. Das sind so viele Sitze, wie sie in der Allianz Arena angeboten werden. Knapp die Hälfte dieser Kapazität können wir durch größere Flugzeuge und mehr Flüge auffangen.
-Zum Beispiel?
Wir hatten im letzten Jahr 98 wöchentliche Verbindungen nach Berlin, jetzt sind es 119 – das sind drei Flüge pro Tag zusätzlich. Nach Hamburg sind es sogar vier, nach Düsseldorf drei und nach Köln zwei zusätzliche Flüge. Außerdem setzen wir größeres Fluggerät ein: Anstelle eines Airbus A320, der 170 Plätze hat, fliegt ein A321 mit 200 Plätzen. Kurz vor Weihnachten fliegen wir sogar mit einem Airbus A340-600, der fast 300 Plätze hat.
-Warum setzen Sie nicht gleich den A380 mit mehr als 500 Plätzen ein?
Die Lufthansa hat nur 14 Flugzeuge dieses Typs und benötigt sie für den Interkontinentalverkehr. Großflugzeuge, wie auch der A340, sind auf den Kurzstrecken wirtschaftlich nicht sinnvoll einzusetzen – wir machen Verlust damit.
-Warum?
Ein Grund: Der Kerosinverbrauch einer A340 mit vier Triebwerken ist viel höher als bei einer zweistrahligen A321. Außerdem: Der A340-600 hat einen First-Class-Bereich, den man auf einem 40-Minuten-Flug nicht sinnvoll verkaufen kann. Wir setzen den A340 jetzt dennoch ein, damit wir in dieser außergewöhnlichen Zeit mit hoher Nachfrage zusätzliche Plätze anbieten können.
-Das klingt direkt wohltätig. Sie haben doch so hohe Flugpreise, dass sie die Mehrkosten locker reinspielen können.
Nochmals ganz klar: Lufthansa hat die Preise nicht erhöht. Die Konjunktur in Deutschland ist stark und die zweitgrößte Airline Deutschlands ist insolvent. Wir erleben in der Folge eine sehr hohe Nachfrage. Aber für 95 Prozent unserer Gäste hat sich nichts verändert. Nur wer kurzfristig bucht, bekommt unter Umständen nur noch ein Ticket in einer höheren Buchungsklasse. Am Ende bestimmt vor allem die Nachfrage den Ticketpreis. Und das ist in der ganzen Reisebranche so – zum Beispiel bei Hotels oder den Bus- und Bahnunternehmen.
-Was raten Sie denn Ihren Fluggästen?
Mein Tipp ist unverändert: Buchen Sie frühzeitig.
-Wie lange wird der Markt so angespannt sein?
Nur einige Monate. Unsere Mitbewerber werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bald München-Berlin-Flüge anbieten, ebenso Eurowings. Im ersten Quartal 2018 wird es soweit sein, ab Mitte nächsten Jahres wird das Angebot schon höher sein als vor der Insolvenz von Air Berlin. Spätestens dann hat sich die Lage wieder beruhigt.
-Und jetzt kommt die Deutsche Bahn, die ab Sonntag München-Berlin in vier Stunden fährt. Unliebsame Konkurrenz?
Nein. Der Umsteigeranteil im Berlinverkehr ist nicht zu unterschätzen. Wer von Berlin über München in die Welt fliegt, wird kaum den ersten Teil der Strecke per ICE auf sich nehmen. Auch Geschäftsflieger mit einem Zwei-Stunden-Termin in Berlin werden kaum acht Stunden Zugfahrt am Tag haben wollen.
-Macht Ihnen Sorge, dass Ryanair jetzt auch am Münchner Flughafen angekommen ist? Im Moment kann man für 50 Euro nach Dublin fliegen – inklusive Rückflug. Das kann doch nicht wirtschaftlich sein.
Sorgen habe ich nicht. Wir bieten gute Verbindungen und haben attraktive Angebote und ich denke, wir haben da einige Alleinstellungsmerkmale. Deshalb bin ich gelassen. Nicht gelassen bin ich immer dann, wenn wir ungleiche Bedingungen haben. Zum Beispiel in Frankfurt, wo Ryanair ganz andere Konditionen beim Flughafenbetreiber Fraport bekommt und zum Teil sogar das Nachtflugverbot ab 23 Uhr ignoriert. Das darf es nicht geben.
-Ab März setzen Sie fünf A380-Maschinen ein. Für welche Strecken?
Im Sommer Los Angeles, Peking, Hongkong, im Winter Miami, San Francisco und Shanghai.
-Die Flugzeuge werden hier gewartet?
Kleinere Wartungsarbeiten werden in München übernommen. Aber die Halle ist zu klein, das Leitwerk der A380 ist zu hoch. Größere Inspektionen finden weiter in Frankfurt statt. Wir arbeiten an einer Lösung für München, das ist aber noch nicht spruchreif. Auch zwei Fluggastbrücken am Satelliten des Terminals 2 müssen noch umgebaut werden.
-Suchen Sie Personal?
Ja. Wir beschäftigen in München 12 000 Mitarbeiter. Und wir werden im nächsten Jahr allein in der Kabine weitere 1000 neue Kollegen einstellen. Bei unserem letzten Münchner Casting für diesen Traumjob wurden wir regelrecht überrannt.
-Stewardess ist immer noch ein Traumjob?
Sicherlich. Und er bietet Flexibilität. Wir stellen zum Beispiel auch Teilzeitkräfte ein, die nur in Spitzenzeiten arbeiten. Manche Kolleginnen und Kollegen studieren nebenher. Letztens habe ich mit einem Bildhauer aus Niederbayern gesprochen, der nebenher als Flugbegleiter arbeitet und so ein festes Einkommen hat. Auch Mitarbeiter über 50 sind gesucht.
-Eine Frage darf nicht fehlen: Sehen Sie ein Signal, dass es in absehbarer Zeit eine Entscheidung zur dritte Startbahn gibt?
(lacht) Das ist eine wichtige Frage. Mir ist bewusst, dass es im Moment übergeordnete Fragestellungen bei den Entscheidern dieses Prozesses gibt. Da kann man nicht vorgreifen. Ich habe auch mit dem Freisinger Landrat gesprochen – seine Sichtweise, weil Wählerauftrag, kann ich verstehen. Die dritte Bahn ist aber für den Wirtschaftsstandort Bayern derart wichtig, dass sie Mitte des nächsten Jahrzehnts fertig sein sollte. Ein großer internationaler Flughafen ist die Basis für eine erfolgreiche Entwicklung einer Region, was zum Beispiel in Frankfurt, Paris oder London über viele Jahre zu sehen ist.
Das Gespräch führten Hans Moritz und Dirk Walter