Internationales Scheinfirmen-Netzwerk

von Redaktion

von Josef Ametsbichler

München/Augsburg – Ein teurer Laptop reist quer durch Europa – und das Finanzamt zahlt die Spesen. Überspitzt formuliert funktioniert so ein Umsatzsteuerkarussell, eine Betrugsmasche, mit der Steuerhinterzieher dem Fiskus Millionen unterschlagen. Den Steuertrick, bei dem das Finanzamt den Überblick verliert, praktizieren internationale Banden gewerbsmäßig.

Doch ewig geht das illegale Geschäft meist nicht gut. Bereits 2011 machten bayerische Fahnder des Landeskriminalamts (LKA) gemeinsam mit anderen europäischen Behörden ein ganzes Geflecht an Scheinfirmen ausfindig. Die Beamten der „Soko Karussell“ beschlagnahmten massenweise hochwertige Elektronik wie Laptops und Spielekonsolen. So viel, dass diese bis zur Versteigerung in einem Flugzeughangar der Bundeswehr gelagert werden mussten.

Die nun veröffentlichte Zwischenbilanz: mehr als 300 Beschuldigte, ein entstandener Schaden von gut 60 Millionen Euro, Beschlagnahmungen im Wert von rund 16 Millionen Euro. In Augsburg hatte sich ein Staatsanwalt an dem Fall festgebissen, der sich zu einem internationalen Steuerverfahren auswuchs: 45 Prozesse mit 102 Angeklagten landeten am Augsburger Landes- sowie Amtsgericht. In den bereits abgeurteilten 30 Verfahren haben die Richter Haftstrafen von insgesamt rund 200 Jahren verhängt. Für das Landgericht eine Belastung: Seine beiden Wirtschaftsstrafkammern musste es wegen der Verfahrensschwemme um vier weitere aufstocken.

Den Hintermännern des Mehrwertsteuerbetrugs auf die Spur zu kommen, ist oft schwierig. „Irgendwann fällt es auf, aber meistens zu spät“, erklärt Christian Hausotter, Ermittler für Wirtschaftskriminalität beim LKA. Denn die Täter beherrschen die Kunst, bei der Fahrt mit dem Umsatzsteuerkarussell rechtzeitig abzuspringen, bevor die Steuerfahndung den Stecker zieht.

Die Karussell-Masche nutzt eine Besonderheit im EU-Recht, wonach grenzüberschreitende Lieferungen zwischen Unternehmen in der Europäischen Union von der Mehrwertsteuer befreit sind. Die Regelung, die Händler entlasten soll, machen sich die Täter zunutze, indem sie beispielsweise eine große Menge Spielekonsolen mehrwertsteuerfrei aus Österreich importieren. Manchmal nur von Kufstein nach Kiefersfelden. Importeur ist eine Briefkastenfirma, die die Geräte dann in Deutschland an eine weitere Firma verkauft und dabei 19 Prozent Umsatzsteuer aufschlägt, die sie – illegal – einbehält, statt sie ans Finanzamt abzuführen. Die teure Elektronik wandert durch ein Firmengeflecht, bis sie irgendwann wieder im Ausland landet. Die Mehrwertsteuer, die die letzte Firma vor der Grenze bezahlen musste, kann sie wiederum beim Staat geltend machen, der sie erstattet.

„Am Ende der Kette bezahlt das Finanzamt, am Anfang wird nichts abgeführt“, fasst der LKA-Fahnder die Vorgehensweise der Täter zusammen. Bis der Staat dahinterkommt, wo das Geld einbehalten wurde, vergeht viel Zeit. Zeit, in der die Täter ihre Scheinfirmen auflösen und das Geld waschen können. Übrig bleiben dann oft nur ahnungslose oder minder schuldige Strohmänner, die als Geschäftsführer der Briefkastenfirmen fungieren.

Anders im aktuellen Fall. Die Ermittlungen, die mittlerweile sechs Jahre andauern, haben die Fahnder über eine Spur in Belgien schließlich zu einer britischen Tätergruppe geführt. Die von Bayern aus koordinierten Ermittlungen in 30 Ländern weltweit gipfeln nun in den Prozessen vor den Augsburger Gerichten. Die vielgereiste Elektronik ist derweil längst versteigert. So holt sich der Fiskus wenigstens einen Teil des entstandenen Verlusts zurück.

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